Mein Stil, oder: Die Schizophrenie im Kleiderschrank

Modezeitschriften und Fashionblogs predigen mit schöner Regelmäßigkeit, jede Frau müsse „ihren Stil“ finden. Ein Konzept, das mir schon immer etwas seltsam erschien: Wieso um alles in der Welt soll ich mich für einen Stil entscheiden?

Es gibt sie. Jene Frauen, die einen sorgfältig kuratierten Kleiderschrank besitzen. Manche von ihnen machen es sich leicht und tragen ausschließlich Schwarz, andere legen sich eine minimalistische Garderobe in Naturfarben zu, wieder andere tragen ihre Uniform aus Jeans und T-Shirt. Doch abgesehen davon, dass ich diese Frauen für eine Ausnahmeerscheinung halte, frage ich mich: Ist das überhaupt erstrebenswert?

Stil, das ist etwas, was wir eigentlich mit Kunst und Architektur verbinden. Dort bezeichnet der Stil bestimmte Charakteristika, anhand derer man erkennen kann, aus welcher Epoche oder sogar von welchem Künstler ein Werk stammt. Diese Verwandtschaft ist nicht uninteressant, denn auch Mode zählt als Kunstform, die sich im Laufe der Zeit immer wieder wandelt, aber auch Altes neu interpretiert. Und auch die Mode wird von einzelnen „Schöpfern“ dominiert.

Zur Mode kam ich jedenfalls wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde. Als ich klein war, stecken mich meine Eltern in niedliche Kleidchen, bevor sie in den 1990ern offenbar farbenblind wurden. (Fairerweise muss man sagen, dass das vermutlich einfach die Zeit war, alle liefen damals leicht chaotisch rum.) Dass ich im Alter von zwölf immer noch meine Mutter meine Kleidung aussuchen ließ, brachte mir in der Schule einiges an Spott ein – hauptsächlich wohl deshalb, weil ich immer noch ihr kleines Mädchen war, das sie entsprechend kleidete. Schließlich tat ich, wozu fast jeder Teenager irgendwann übergeht: Ich versuchte, unsichtbar zu werden, indem ich mich anpasste.

Bin das ich? Oder das? Und das etwa nicht?

Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich später dann, als ich studierte, alle Stile auf einmal ausprobieren wollte: Ich hatte so viel verpasst. Damals wuchs meine Garderobe exponentiell, ich war Stammgast in Secondhandshops und legte mir einige echt schräge Vintage-Teile zu, auf deren Besitz ich teilweise noch heute stolz bin. Vor allem aber entwickelte ich eine Marotte, die ich nach wie vor pflege: Da ich abwechselnd in einem zugigen Schloss und heillos überheizten Bibliotheken saß, begann ich, mich im Zwiebelprinzip zu kleiden. Heute wie damals eine nützliche Sache, denn in Großraumbüros gibt es immer diese eine Kollegin, die bei voll aufgedrehter Heizung im dicken Rollkragenpulli immer noch friert, während ich im T-Shirt dasitze und vor Hitze fast eingehe.

Und was hat das alles nun mit meinem Stil zu tun? Vielleicht nichts, vielleicht alles. In meinem Kleiderschrank ist keine klare Linie zu erkennen. Da liegen nerdige „Star Wars“-Shirts friedlich neben romantischen Blusen, da reihen sich Cargohosen nahtlos in meine große Sammlung femininer Kleider ein. Ich könnte nicht sagen, dass das eine mehr ich ist als das andere, manchmal trage ich wochenlang nur Kleider, dann habe ich plötzlich wieder das Bedürfnis, lässige Hosen und T-Shirts anzuziehen. Müsste ich auch nur auf einen einzigen Stil aus meinem Kleiderschrank verzichten, wäre ich verloren.

Was also hat es mit „dem Stil“ auf sich, den offenbar Frauen auf der ganzen Welt so erstrebenswert finden? Stehen sie manchmal vielleicht auch vor ihrem Schrank voller Chinos und Blusen in Pastellfarben und denken, scheiße, jetzt hätte ich Lust auf ein schwarzes Kleid? Sehnen sich Frauen, die alle Hosen aus ihrer Garderobe verbannt haben, manchmal nach bequemen Jeans? Oder ist am Ende alles nur ein Konstrukt der sozialen Medien und der wilde Stilmix in Wirklichkeit doch der Normalzustand?