Star Trek: Deep Space Nine | Hard Time (4×19)

„We punish our offenders by giving them memories of incarceration – modelled to fit each offender‘s personality. It‘s more efficient and much more effective than maintaining an extensive prison system.“

Wegen eines kleinen Fehltritts wird O‘Brien zu einer Haftstrafe in einer künstlichen Realität verurteilt. Spoiler!

Hello, Miles, welcome to hell

Weil Chief O‘Brien während eines Besuchs bei den Agrathi ein bisschen zu neugierig nach deren Technologie gefragt hat, wird er zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Die Agrathi haben allerdings keine physischen Gefängnisse, sondern nutzen künstliche Realität, um O‘Brien innerhalb von Minuten die Erfahrung von zwanzig Jahren Gefangenschaft in einer Zelle zu vermitteln. Wieder auf Deep Space Nine, tut er sich schwer, in den Alltag zurückzufinden, weigert sich aber auch, mit einem Counselor darüber zu sprechen.

Ein moralisches Lehrstück

„Hard Time“ ist eine auf den ersten Blick sehr einfach gestrickte Folge, wirft aber so viele moralische Fragen auf, dass man vermutlich ganze Doktorarbeiten darüber schreiben könnte. Das Faszinierende daran ist, dass sich die Geschichte fast ausschließlich auf O‘Briens Erfahrung konzentriert, auf seine Sicht. Das Prozedere als solches wird dabei nur implizit kommentiert, was wesentlich effektiver ist, als es rundweg zu verurteilen. Eine absolute Sternstunde für „Star Trek“.

O’Brien: „You‘re not real, you‘re just in my head.“
Ee’char: „That‘s all I ever was. But I’m real to you, and that‘s all that matters.

Eine prägende Erfahrung

Einer der spannendsten Effekte dieser Folge ist, dass einem erst nach und nach bewusst wird, dass es hier nicht um ein paar lästige Erinnerungen geht, sondern um Erfahrungen. Wenn Bashir anfangs noch sehr hoffnungsvoll meint, er werde jetzt einfach nach einer Methode suchen, die Erinnerungen zu löschen, dann verkennt er die Lage völlig. Aus O‘Briens Sicht sind diese zwanzig Jahre wirklich passiert, er hat sie in Realzeit erlebt – und das prägt. Es äußert sich darin, dass er beim Abendessen mit Keiko automatisch ein paar Brocken beiseite legt. Aber es zeigt sich auch, wenn er von zu viel Input überwältigt ist und daraufhin verbal (und schließlich auch beinahe körperlich) um sich schlägt.

Übrigens rechnete ich bis zum Schluss fest damit, dass sich Ee‘char als eine Art Programmierfehler erweist. Als ein Störfaktor, der von den Agrathi gar nicht vorgesehen war und die Hafterfahrung in letzter Konsequenz so viel schlimmer gemacht hat. Dass es nicht so war, sondern zu O‘Briens „perfekt zugeschnittener“ Bestrafung gehörte, macht es umso bitterer. Man fragt sich automatisch, wie die Sache gelaufen wäre, wenn er die zwanzig Jahre allein verbracht hätte. Hat die Anwesenheit Ee’chars ihn am Ende davor bewahrt, verrückt zu werden?

Wie human ist das System wirklich?

Es ist tatsächlich erstaunlich, dass sich „Hard Time“ jeglichen Kommentars zur Bestrafungsmethode der Agrathi enthält, obwohl „Star Trek“ sonst immer schnell dabei ist, den moralischen Zeigefinger zu heben. Stattdessen darf der Zuschauer seine ganz eigenen Schlüsse ziehen. Was mich dabei am meisten beschäftigt hat, ist die Frage, ob dieses System tatsächlich so viel fortschrittlicher ist, nur weil sich die Agrathi die Hände nicht mehr schmutzig machen.

Anders gefragt: Kann eine Gesellschaft wirklich von einem Bestrafungssystem profitieren, das Rehabilitation so offensichtlich ausschließt? Was O‘Brien in der künstlichen Realität erlebt, ist Gefangenschaft wie im Mittelalter, inklusive Folter durch Essensentzug. Dass all das nicht real ist, ist in dem Fall kein valides Argument, denn für den Gefangenen fühlt es sich real an. Die Gefangenen werden entmenschlicht, und das Beispiel O‘Brien zeigt, dass er dadurch eigentlich erst kriminalisiert wird. Aus einem mutmaßlichen Spion wird am Ende ein Mörder. Und der wird dann völlig traumatisiert wieder in die Gesellschaft entlassen.

„When we were growing up, they used to tell us, humanity had evolved. That mankind had outgrown hate and rage. But when it came down to it, when I had the chance to show that no matter what anyone did to me, I was still an evolved human being … I failed. I repaid kindness with blood. I was no better than an animal.“

Ein früher Beitrag zum Thema virtuelle Realität

Auf einen weiteren, nicht minder spannenden Aspekt hat mich ein anderer Reviewer gebracht. Das Thema künstliche oder virtuelle Realität war bei der Ausstrahlung 1995 mitnichten schon im Alltag angekommen, es war noch nicht einmal etwas, worüber man spekulierte. „The Matrix“, der erste Film, der sich ernsthaft damit auseinandersetzte, kam immerhin erst vier Jahre später in die Kinos! Es ist so gesehen mehr als bemerkenswert, wie durchdacht „Hard Time“ ist, wie zielsicher sich die Story den Problemen nähert.

Mehr noch, die Folge wirkt so modern, weil sie von einer gänzlich anderen Ausgangslage als vergleichbare Geschichten ausgeht. Während sich die meisten Filme und Serien darauf konzentrieren, dass man innerhalb der künstlichen Realität einem festen Drehbuch folgt, bestimmt O‘Brien hier selbst, in welche Richtung sich seine Erfahrung entwickelt. Er selbst entscheidet, sich mit Ee‘char anzufreunden. Er selbst entscheidet, ihn zu töten. Zu keiner Zeit war irgendetwas davon vorgegeben oder wurde von außen gelenkt. Und gerade das ist das Beängstigende daran, denn O‘Brien hat sich selbst sein schlimmstes Gefängnis erschaffen.

Hard Note

• Nein, der Eindruck täuscht nicht. Zitat Ira Steven Behr: „Every year, we like to drive O’Brien totally mad.“

5 von 5 Bananen, die für Essen töten würden.

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