Re:visited | „Emergency Room“

„Wir sind Mediziner, keine Physiker.“

Im Grunde begann alles mit der „Schwarzwaldklinik“. Als Kind dieser Serie ausgesetzt, haben meine Eltern bereits in jungen Jahren den Grundstein für meine lebenslange Faszination von Arztserien gelegt. Es folgten „Scrubs“, „Grey’s Anatomy“, „House“ und natürlich die Mutter aller Krankenhausserien: „Emergency Room“.
2022, knapp dreizehn Jahre, nachdem die letzte Folge „Emergency Room“ ausgestrahlt wurde, ergriff ich die Chance, einen Rewatch zu starten, als die komplette Serie zu Amazon Prime kam. Was als nostalgische Schwärmerei begann, entwickelte sich bald in eine Studie unserer Gesellschaft, die ich fasziniert, aber auch zunehmend frustriert verfolgte. Ein Rückblick.

Die Serien-Historie aus meiner Sicht

Wenn ihr keine Zeit habt, mal eben 15 Staffeln (das sind 247,5 Stunden oder 14.852 Minuten) einer alten Krankenhausserie zu gucken (ich weiß eigentlich nicht, wo ich sie her hatte), solltet ihr wenigstens einmal im Leben den anderthalbstündigen Pilotfilm gesehen haben. Dieser Serienpilot hat mittlerweile fast 30 Jahre auf dem Buckel, ist aber heute noch so modern und schnell und fesselnd wie damals. Es wird so oft davon gesprochen, dass Serien der 1990er schlecht gealtert sind, doch davon ist hier nichts zu spüren.
Steigt man danach tatsächlich in die Serie ein, so sind die ersten zwei bis drei Staffeln im Grunde ein Selbstläufer. Das Konzept war noch neu, die Ideen frisch und in puncto Charakterentwicklung passiert gerade am Anfang sehr viel. Danach pendelt sich das Ganze auf einem durchschnittlichen Niveau ein, mit hin und wieder einer außergewöhnlichen Folge, die sich erzählerisch was traut und einen so bei der Stange hält. Die erste Feuerprobe erlebte die Serie mit dem Weggang von Aushängeschild George Clooney nach der fünften Staffel.
Objektiv betrachtet fällt der Verlust weniger ins Gewicht, als es damals den Anschein hatte, denn im Kern war „Emergency Room“ schon immer eine Ensemble-Serie. Ein paar besonders charismatische Darsteller kamen ihr freilich zugute, was sich vor allem in den späteren Staffeln bemerkbar macht, als diese dann komplett fehlten. Da ich die Serie beim Rewatch mehr oder weniger am Stück geschaut habe, kann ich heute sehr genau sagen, wann dieser Punkt für mich persönlich erreicht war: beim Weggang von Anthony Edwards nach der achten Staffel. Dass ich von Anfang an ein Fan von Noah Wyle war, rettete mir in gewisser Weise die nachfolgenden drei Staffeln, doch als er ebenfalls ging, lag mein Interesse praktisch bei null. Ab da ging es mir nur noch darum, das Gesamtwerk betrachten zu können, nicht mehr um den eigentlichen Rewatch.
Es ist vielleicht ganz interessant, anzumerken, dass ich damals, als ich die Serie zum ersten Mal schaute, irgendwann zwischen der achten und zwölften Staffel aufhörte. Ich kann mich nicht genau erinnern, ob ich schon mit Edwards abbrach oder erst danach, doch Fakt ist, dass ich die nachfolgenden Staffeln erst Jahre später nachholte. Wobei ich sagen muss, dass ich beim besten Willen nicht mehr verifizieren kann, ob ich die finale Staffel schon mal gesehen hatte. Sie kam mir sehr unbekannt vor, was aber vielleicht auch meinem damaligem Desinteresse geschuldet war.

Die Gesellschaft im Zeitraffer

Man muss die Serie aber gar nicht mögen, um anzuerkennen, dass sie ein wichtiges Stück Fernsehgeschichte ist. Nicht nur, weil sie mit 15 Staffeln eine der längsten Dramaserien ist, die jemals produziert wurden. Sondern, weil eben diese 15 Staffeln genauso viele Jahre abdecken und somit ein Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen rund um die Jahrtausendwende sind. Der Cast beispielsweise wurde zunehmend diverser, immer mehr Nationalitäten waren vertreten, und erste zaghafte Andeutungen von Homosexualität wurden schließlich zu ganz normalen Storylines.
Der für mich interessante Aspekt war, dass die Figuren immer jünger wurden. Und damit meine ich nicht unbedingt das physische Alter, sondern eher die Mentalität. Doug Ross, Mark Greene, Susan Lewis, Peter Benton, John Carter, Carol Hathaway – sie alle waren gestandene Persönlichkeiten. Mit Fehlern zweifellos, aber doch vernünftige Erwachsene, die sich mit erwachsenen Problemen herumschlugen und ihre Arbeit verdammt ernst nahmen. Gregory Pratt, Neela Rasgotra, Archie Morris, Ray Barnett, Tony Gates waren im Vergleich dazu Kinder. Verwöhnte Kinder noch dazu, deren ganzes Leben sich nur um die eigenen Befindlichkeiten drehte.
Das ist kein Zufall, sondern eine Entwicklung, die auch gesamtgesellschaftlich zu beobachten ist. Die „Jugend“ wird immer weiter ins Erwachsenenleben hinein verlängert, die Menschen übernehmen immer später Verantwortung für ihr Leben und wollen vor allem erst mal Spaß haben. Figuren, die ständig zu spät zur Arbeit erscheinen, weil sie glauben, dass sie vielleicht doch als Musiker berühmt werden. Figuren, die sich als Chef aufspielen, obwohl sie von nichts eine Ahnung haben. Figuren, die die Schuld niemals bei sich suchen. Um nur ein paar Beispiele dafür zu nennen, was dem Zuschauer in den späteren Staffeln so präsentiert wird.
Problematisch war, dass sich „Emergency Room“ vor allem in den letzten drei, vier Staffeln immer weniger wie eine Krankenhausserie anfühlte, sondern eher nach einer Dramaserie, deren Protagonisten zufällig in einer Notaufnahme arbeiten. Die Patientenschicksale rückten immer weiter in den Hintergrund, wenn es nicht gerade mal wieder eine Katastrophe mit vielen kreativ Verletzten gab. Was genau da passiert ist, ist schwer zu erklären, denn auch schon zu Beginn der Serie spielte das Privatleben der Figuren eine wichtige Rolle. Es war nur einfach nicht so dominant, sondern fügte sich flüssiger in den Krankenhausalltag ein.

Das Ende kam erst, als es keinen mehr interessierte

Rückblickend waren die Staffeln 12 bis 15 die härtesten bei diesem Rewatch. Nachdem auch John Carter weg war, interessierten mich die verbliebenen Charaktere kaum noch. Hinzu kam, dass viele Neuzugänge nur noch maximal eine Staffel blieben, man sie also nie wirklich kennenlernte. (Was auch dazu führte, dass Folgen, die sich vorrangig auf sie konzentrierten, oft extrem öde waren, weil mich die Details beispielsweise einer zerrütteten Ehe gar nicht interessierten.)
Es ist jedenfalls äußerst vielsagend, dass man für die finale Staffel einige der frühen Darsteller für Gastauftritte zurückholte. Und zwar ausschließlich der frühen. Man kann darin eine erzählerische Ellipse sehen, man kann aber auch einfach zugeben, dass wohl selbst den Autoren bewusst war, dass die treuen Fans vor allem wegen dieser ersten paar Staffeln Fans waren. Nicht, dass es noch viel bewirkt hätte, sie blieben Gäste, die auf die laufenden Plots wenig bis keinen Einfluss mehr hatten. Aber es war dennoch schön, sie noch mal zu sehen.
Abschließend habe ich den Pilotfilm übrigens noch einmal geschaut. Zum einen wollte ich sichergehen, dass ich nicht einfach nur des Themas überdrüssig bin und die letzten Staffeln deshalb als so schlecht empfunden habe. Zum anderen war ich neugierig, ob er mir nach all dem noch immer gefällt. Und auch wenn ich gemerkt habe, dass mein Interesse im Vergleich etwas nachgelassen hat, fühlte ich doch sofort wieder eine Verbindung zu den Charakteren und ihren Geschichten. So bleibt mir „Emergency Room“ am Ende doch positiv in Erinnerung, auch wenn ich nicht noch einmal 15 Staffeln innerhalb eines Jahres schauen würde, das könnt ihr mir glauben.