Bücherstapel | Stephen Baxter „Evolution“

Bei diesem gewaltigen evolutionären Drama führte das ständig wechselnde Erdklima Regie – und die Tiere und Pflanzen waren den Launen des unsichtbaren Regisseurs hilflos ausgeliefert.

Es war einmal … das Leben

Die Geschichte beginnt 65 Millionen Jahre vor unserer Zeit im heutigen Nordamerika, als die Dinosaurier ihre letzten Tage auf der Erde erleben. Im Inferno eines gewaltigen Meteoriteneinschlags beginnt sich das Klima zu verändern und begünstigt plötzlich die kleinen Säugetiere, die bislang ein Schattendasein gefristet haben. Wir folgen ihren Spuren und begegnen den ersten Menschenaffen, deren komplexe Sozialstrukturen den Grundstein für menschliche Gesellschaften legen. Die Hominiden erobern die Welt und besetzen jede nur denkbare Nische, doch es dauert, bis sich aus den einfachen Stammesgruppen echte Zivilisationen entwickeln, die ihre Fremdenfeindlichkeit überwinden und Handel miteinander treiben. Aber wir verfolgen die Menschheit noch weiter, bis in die spätrömische Zeit, die Gegenwart und schließlich in die ferne Zukunft, wenn der Mensch wieder ein Tier unter vielen ist, während die Erde ihrem endgültigen Ende entgegensteuert.
Die Weibchen bildeten Verwandtschaftsgruppen und teilten miteinander die Nahrung, die sie fanden. In genetischer Hinsicht war das eine sinnvolle Praxis, denn die Tanten, Nichten und Schwestern hatten das gleiche Erbe. Und was die Männchen betraf, so gingen die überallhin, wohin auch die Weibchen gingen. Die Rangordnungskämpfe waren eine Art Showelement, mit denen sie im Grunde keinen Beitrag für die Sippe leisteten.

Erdgeschichte aus einem anderen Blickwinkel

Stephen Baxters „Evolution“ widersetzt sich hartnäckig jeder Gattungs- oder auch nur Genre-Zuordnung. Das Buch ist weder Roman noch Sachbuch. Es handelt von der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Es enthält Tatsachen, aber auch Spekulationen. Es hat keinen durchgehenden Protagonisten. Am ehesten würde ich das Buch als Geschichtsschreibung mit erzählerischen Freiheiten charakterisieren, und das ist gewiss nichts, was jedem gefällt.
Ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich das Buch als jemand gelesen habe, der vor einer gefühlten Ewigkeit Archäologie studiert hat. Die meisten Fakten, die ich damals auswendig lernen musste, sind längst in die weniger erreichbaren Regionen meines Hirns gerutscht. Woran ich mich jedoch noch gut erinnern kann, ist die elaborierte Einseitigkeit, die die Arbeit des Archäologen ausmacht. Denn um als Wissenschaft anerkannt zu werden, muss sich jedwede Aussage auf konkrete Funde stützen. Das führt leider dazu, dass sich die Arbeit oftmals auf reines Datensammeln reduziert. Will heißen, Archäologen können einem relativ präzise sagen, wann Menschen die ersten Werkzeuge gebrauchten, gezielt Feuer nutzten oder von Sammlern und Jägern zu Bauern wurden. Die kognitiven und soziokulturellen Veränderungen, die damit einhergingen oder diese Entwicklungen überhaupt erst möglich machten, wären jedoch allenfalls Spekulation, und das ist in der Wissenschaft verpönt. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass mich „Evolution“ vor allem deshalb so fasziniert hat, weil mir genau dieser Part im Studium immer gefehlt hat. Eine Erklärung für all diese Entwicklungen, die wir durch Bodenverfärbungen, Pfostenlöcher und Keramikscherben nachwiesen.
Natürlich ist das alles Fiktion. Die kurzen, aus Instinkten geborenen Gedanken, die Baxter kleinen Nagetieren andichtet, ebenso wie die geistigen Prozesse, die er der Bewusstwerdung des Menschen zugrundelegt. Es kann so abgelaufen sein, es kann aber auch ganz anders gewesen sein. Einige Verbindungen, die er zwischen Arten zieht, sind heute sogar schon widerlegt, wie ein sehr hilfreiches Essay im Anhang erklärt. Aber das tut der Sache keinen Abbruch, denn dem Autor ging es mit seinem Buch vor allem darum, zum Nachdenken anzuregen. Über die sozialen Beziehungen zwischen Lebewesen, über den wachsenden Einfluss des Menschen auf seine Umwelt, über unsere im Grunde sehr unbedeutende Position im großen Ganzen.
Ein durchaus aufschlussreiches Intermezzo sind die Kapitel über die letzten Atemzüge des Römischen Reiches, auch wenn sie formal gesehen fast am uninteressantesten sind. Denn dort wird geschildert, wie sich wenige Reiche immer mehr bereichern, während die Mittelschicht durch Steuern ausgeblutet wird und das Bildungswesen verfällt. Klingt vertraut? Wir Menschen haben wahrlich noch viel zu lernen, wenn wir selbst die offensichtlichsten Fehler der Vergangenheit immer wieder machen. Zugleich zeigen die letzten Kapitel in ferner Zukunft, dass der Mensch, so groß er sich heute auch vorkommen mag, in letzter Konsequenz nur eine Episode der Erdgeschichte darstellt. Genau wie die Dinosaurier werden wir irgendwann untergehen, zurückgedrängt in Nischen, wo wir darauf warten, dass die sterbende Sonne die Erde verbrennt.
3 ½ von 5 Bananen, die die Höhlenkunst erfinden.