Das Leben ist eine Nebenhandlung

Alfred Hitchcock hat einmal gesagt, Filme würden das Leben abbilden, jedoch ohne die ganzen langweiligen Passagen. Keinen interessiert es, wann der Protagonist aufs Klo geht oder was er zum Frühstück isst. Andersrum gesagt: Filme, Romane, Serien, sie alle sind unrealistisch. Wäre das wahre Leben so voller wichtiger Szenen ohne Auszeiten, in denen einfach mal nichts passiert, wir würden alle durchdrehen.

Dank hochgradig verwurschtelter Serien wie “Akte X” oder “Lost” sind wir heutzutage so sehr daran gewöhnt, dass alles wichtig ist, dass wir nicht verstehen können, wie etwas unwichtig sein kann. Es wird erwähnt, also muss es was bedeuten. Welchen Sinn sollte es machen, unwichtigen Kram zu zeigen? Aufs Schreiben übertragen bedeutet das, dass jede Nebenhandlung etwas zum Hauptstrang der Geschichte beizutragen haben muss. Früher war das anders. Man muss nur mal “Die Buddenbrooks” von Thomas Mann lesen und wird den größten Kulturschock seines medialisierten Lebens erleben. Räume werden beschrieben, einfach um des Beschreibens willen und nicht etwa, weil die Zigarrenschachtel im Regal oben links fünf Kapitel weiter wichtig ist, um jemanden des Mordes zu überführen. Personen reden miteinander über Nichtigkeiten und gehen zu nutzlosen Gesellschaftstreffen, um dort noch mehr Unsinn zu reden. Und trotzdem wird man schnell merken, wie angenehm dieses Buch zu lesen ist, wie man unweigerlich in ein anderes Leben hineingezogen wird. Etwas, was man mit modernen Büchern nur äußerst selten erlebt. Warum?

Zu einem großen Teil ist vermutlich wirklich das Fernsehen schuld. Schnelle Information ist alles, was wir heute wollen, keinen Ballast. Einfache, gradlinig gestrickte Serien erfreuen sich wachsender Beliebtheit, weil sie eine Aufmerksamkeitsspanne von nicht mehr als 40 Minuten verlangen, während die Gegenbewegung auf Handlungen setzt, die über eine oder sogar mehrere Staffeln gehen. Das ist genau genommen ebenso abwegig, strengt aber wenigstens die grauen Zellen etwas an. Die große Frage, die, die sich jeder Schriftsteller stellen muss, die lautet: Was mache ich damit? Kein Verlag würde heute noch “Die Buddenbrooks” annehmen, die darin zelebrierte Langatmigkeit wäre der Tod jeder Verkaufsstrategie. Und wer kann denn auch noch so schreiben? Ich sicher nicht, ich weiß, dass ich einen Tick damit habe, Nebenhandlungen thematisch parallel anzuordnen, so dass sich die Facetten einer Problematik auf vielfältige Weise widerspiegeln. Das mag auf eine Weise hintersinnig und genial sein, aber es geht am Leben vorbei.

Wie revolutionär wäre es da, wenn ein Protagonist alle zehn Seiten oder mindestens drei Mal pro Serienfolge aufs Klo müsste …