ZSSD | Review: Death Stranding – Lieferdienst reloaded

„You can make America whole. Sam, if we don’t all come together again, humanity will not survive.“
„We don’t need a country. Not anymore.“

Worum geht es?

Das vor Kurzem erschienene Death Stranding aus der japanischen Spieleschmiede Kojima Productions zeigt uns die Welt als öden und leeren Ort. Über Amerika ist vor einigen Jahrzehnten der Tod hereingebrochen, und zwar wortwörtlich. Geister von Verstorbenen erscheinen plötzlich als wabernde, schwebende Schemen, die wie mit einer Nabelschnur an den Boden geheftet sind. Alptraumhafte Monster tauchen aus schwarzem Schlamm auf und ziehen den unaufmerksamen Wanderer in die Tiefe. Wenn Regen fällt, dann vergeht in ihm die Zeit schneller, sodass alles altert, rostet, verfällt und stirbt. Die Welt ist lebensfeindlich geworden, toxisch. Wer diese Mischung nicht überlebt, dessen toter Körper muss innerhalb von 48 Stunden verbrannt werden, sonst zieht er die Toten an – oder es kommt zum „Leeresturz“, und eine gewaltige Detonation hinterlässt nur einen tiefen Krater und noch mehr Tod.
Die Lebenden haben sich in Bunkern und ummauerten Städten verschanzt und interagieren mit der Außenwelt nur noch als Hologramme. Es sind so wenige, dass die ehemaligen USA, die Vereinigten Staaten, jetzt nur noch die UCA, die Vereinigten Städte von Amerika, sind. Bis auf Vögel gibt es kaum noch Tiere, die Vegetation ist auf karges Gras und schwächliche Pflänzchen reduziert und wächst auf schwarzem Sand und felsigen Steinen. Island stand für dieses postapokalyptische Amerika Pate, und dieses raue, menschenleere und dennoch wunderschöne Land passt wie kaum ein anderes.
In dieser Welt lebt und arbeitet Sam Porter Bridges, ein Paketbote. Was sich zuerst trivial anhört, ist hier jedoch ein lebensnotwendiger Beruf, denn die abgeschottet lebenden Amerikaner sind auf die Lieferungen zwingend angewiesen. Und nur wenige überleben den Trip durch dieses höllische Gebiet, und sie müssen dafür mit DOOMS ausgestattet sein, einer Art sechstem Sinn für die allgegenwärtigen Toten und die Gefahr, die von ihnen ausgeht.
Darüber hinaus gibt es ein reichlich skurriles Hilfsmittel, dessen sich die Paketboten bedienen können: Bridge Babies, oder kurz: BBs. Ungeborene Kinder hirntoter Mütter, die eine Verbindung zwischen der Welt der Lebenden und der Toten darstellen, und die man an einer körperlichen Weiterentwicklung hindert und in einer künstlichen Fruchtblase hält. So unethisch dies sein mag, und das wird im Spiel auch thematisiert, so überlebensnotwendig sind diese „Werkzeuge“. An den Bauch geschnallt und mit einem Scannersystem verbunden, macht es die schwebenden Toten für die Boten sichtbar. Nur so können sie ihnen aus dem Weg gehen und verhindern, von ihnen auf die andere Seite gezogen und getötet zu werden.

Sam Porter Bridges, dargestellt von Norman Reedus, bekommt den Auftrag, seine Schwester am anderen Ende Amerikas (das für das Spiel stark verkleinert wurde) aus der Hand von Terroristen zu retten. Denn sie ist niemand Geringeres als die Tochter der gerade verstorbenen Präsidentin der UCA und die, wie es ausgedrückt wird, letzte Hoffnung für ein neu erstarkendes Amerika. Sam ist davon wenig begeistert, wie eigentlich von allem, denn er ist nicht nur wortkarg, sondern auch chronisch lustlos. Er will eigentlich nur seine Ruhe und seine Arbeit erledigen, und nichts von Hoffnung und Heldentum hören.
Dennoch macht er sich auf den Weg, von Siedlung zu Siedlung und Bunker zu Bunker, um all diese Orte und Menschen wieder an ein Netzwerk anzubinden, das ihnen erlaubt, zu kommunizieren und Informationen auszutauschen. Death Stranding ist daher auch und vor allem ein Spiel über Trennung und Wiedervereinigung, darüber, wie isoliert lebende Menschen wieder den Vorteil und die Annehmlichkeiten der Gemeinschaft schätzen lernen.

Wie ist es?

Diese Grundidee zeigt sich nicht nur an der Geschichte selbst, sondern auch am Spielprinzip. Eigentlich ist Sam ständig allein, er kämpft auf sich gestellt durch leere Landschaften und verschwindet fast in der weitläufigen Einsamkeit. Doch parallel dazu spielen das Spiel auch viele andere Spieler, und ihre Veränderungen in der Spielwelt werden in meiner sichtbar.
Ein Beispiel: Ich steuere Sam auf einen Berg und nutze dazu Leitern und Kletterseile, die ich zu diesem Zweck mitgenommen habe. Oben angekommen bemerke ich jedoch, dass ich vermutlich in eine Sackgasse gelaufen bin. Wäre da nicht … die Brücke, die ein anderer Spieler dort oben in seinem eigenen Spiel angelegt hat. Den Spieler sehe ich nicht, nur seine Brücke, die ich nutzen kann. Für die nützliche Anlage vergebe ich dem Spieler ein „Like“, auf gute alte Social Media-Art. Dieses wird er dann das nächste Mal angezeigt bekommen, wenn er das Spiel startet. Ebenso werden meine Leitern und Kletterseile für wieder einen anderen Spieler nützlich sein. Manchmal komme ich Tage später wieder an der Stelle vorbei, und mein damals angelegter Briefkasten hat 350 Likes.
Auch wenn man nie gemeinsam spielt, arbeitet man doch zusammen. Von anderen aufgestellte Schilder warnen vor Erdrutschen oder einem Feld voller schwebender Toter, dem man besser aus dem Weg geht. Verliere ich ein Paket, kann ein anderer Spieler es aufsammeln und ausliefern. Bekämpfe ich ein Schlammmonster, so werfen mir andere Spieleravatare als geisterhafte Silhouetten Kanister mit Granaten und Waffen zu.

Zuerst musste ich mich an die ständige Anwesenheit von Hinterlassenschaften mir völlig Fremder gewöhnen. Ich bin kein Multiplayer-Spieler, ich mag mein eigenes Spiel allein genießen. Trotzdem ist es seltsam tröstlich, in der endlosen Einöde nicht ganz auf mich gestellt zu sein. Da draußen ist Leben, irgendwo, auch wenn ich nur die Spuren davon finde.
Wie in vielen Spielen von Entwickler Hideo Kojima – einer Koryphäe der Szene, nebenbei bemerkt – kommt auch hier der skurrile Humor nicht zu kurz. An einer Badestelle empfängt mich das „Bitte nicht urinieren“-Schild eines Mitspielers. Natürlich vergebe ich ein Like. Von einem Bunkerbewohner (US-Moderator und Comedian Conan O’Brian) bekommt Sam eine Kapuze im Otterdesign, die immer quiekt, wenn er sie aufsetzt. Und verteile ich die Fracht nicht gleichmäßig auf Sams Rücken, kann er nicht verhindern, ständig zu stolpern und umzufallen, und liefert folgerichtig beschädigte Waren aus. Natürlich reißt das jedes Mal aus dem melancholischen und bittersüßen Grundtenor des Spiels heraus, aber das ist nun einmal Kojima. Seine Spieleserie Metal Gear, die bereits Kultstatus erreicht hat, ist voll solcher Skurrilitäten, die mehr oder weniger unfreiwillig komisch sind. Insofern bleibt er sich auch bei Death Stranding treu.
Auch die Charaktere sind … speziell. Da ist „Mama“, die den Geist ihres vor der Geburt verstorbenen Kindes mit sich herumschleppt. Oder „Heartman“, dessen Herz alle 22 Minuten stehen bleibt, um drei Minuten später von einem Defibrillator wieder neu gestartet zu werden. „Fragile“, die sich teleportieren kann und deren Körper vom Hals abwärts durch einen Zeitregenschauer stark gealtert ist. Und der anarchistische „Higgs“, der die schwebenden Toten und die Schlammmonster mit seinem Willen beeinflussen und herbeirufen kann, und der dadurch als Antagonist des Spiels fungiert.
All das, das Setting, die Geschichte, die Figuren und die Spuren paralleler Spieler bildet ein seltsames Konglomerat. Aber ist es gut?
Definitiv. Auch wenn es polarisiert und sicher ebenso nachvollziehbar von einigen als lahmer „Walking Simulator“ bezeichnet wird. Es trifft bei mir einen Nerv, auch wenn ich das Gefühl nicht recht beschreiben kann. Die BBs, die schwebenden Toten, die Einsamkeit – musikalisch unter anderem in Szene gesetzt von Musikprojekten wie Silent Poets aus Japan oder der amerikanisch-isländischen Band Low Roar (Reinhörtipps!!) – all das funktioniert für mich gut. Die bizarren Momente sind gewöhnungsbedürftig, aber akzeptiert man sie als Teil dieses besonderen Universums, dann macht Death Stranding viel Spaß und entwickelt eine ganz eigene Faszination.