Liebeshandlungen | „Midnight Mass“ und die Intimität des Glaubens

„My brain activity ceases and there is nothing left of me. No pain. No memory, no awareness that I ever was, no … That I ever hurt someone.“

(Sicherheitshalber erfolgt an dieser Stelle eine milde Spoilerwarnung. Ich verrate nichts Handlungsrelevantes.)

Ich habe eine große Schwäche für die verschiedenen Arten, Intimität auszudrücken. Das ist so ein weites Feld, dass man das vermutlich niemals erschöpfend behandeln kann. Da gibt es natürlich die körperliche Intimität, die schon mit kleinsten Berührungen beginnt und in manchen Fällen eben zu Sex führt. Aber es gibt auch emotionale Intimität, die häufig der Literatur vorbehalten bleibt, weil sie visuell schwerer abzubilden ist. Ein schönes Beispiel für diese Form der Nähe liefert völlig unerwartet die Miniserie „Midnight Mass“.

Einblick in die Seele eines Menschen

Das Thema Glaube ist meiner Erfahrung nach etwas zutiefst Persönliches. Sofern sich ein entsprechendes Gespräch nicht nur an der Oberfläche bewegt, kann man dabei eine Menge über die betreffende Person erfahren, und vielen Menschen macht das eine Heidenangst. Sie fürchten, dass sich ihr Gegenüber darüber lustig machen könnte, denn Glaube ist per Definition immer irrational. Ich denke, ich selbst habe in meinem Leben vielleicht zwei wirklich ernste Unterhaltungen über Religion und Glauben geführt.

Erst, wenn man sich das bewusst macht, wird offenkundig, wie intim das Gespräch zwischen Riley und Erin in Folge 4 von „Midnight Mass“ ist. Die Serie handelt von einem religiösen Erwachen im kleinen Fischerdörfchen Crockett Island. Nach einem vermeintlichen Wunder erhält die Kirche massiven Zulauf und Vater Paul Hill wird zur Galionsfigur dieses neu erwachten Glaubens. Aber im Vergleich zu dieser einen Sequenz zwischen Flynn und Erin ist alles, was wir sehen, stark ritualisiert und geradezu abstrakt.

Zwei Menschen an einem Wendepunkt

An dieser Stelle sollte ich vielleicht festhalten, dass es in „Midnight Mass“ nicht um romantische Liebe geht. Riley und Erin sind kein Paar, beide stehen an einem Wendepunkt in ihrem Leben und versuchen herauszufinden, welche Art von Mensch sie eigentlich sind. Keiner von beiden ist in der emotionalen Verfassung für eine Beziehung, aber jeder sieht, dass sie tiefe Gefühle füreinander haben. Und das ist das Besondere an der Serie: Sie vertraut darauf, dass wir das auch ohne Kuss oder Beischlaf merken.

Wenn sie dann schließlich auf Erins Sofa sitzen und darüber reden, wie es sein wird, wenn sie sterben, steht die räumliche Distanz zwischen ihnen im krassen Gegensatz zu dem, was tatsächlich passiert. Riley erzählt, wie sein Körper nach und nach die Funktion einstellt, wie sein Gehirn in einem letzten Rausch von Erinnerungen geflutet wird, und wie er schließlich als Nahrung für Mikroben und Bakterien dient. Ganz anders Erin, die gerade ihr ungeborenes Kind verloren hat, und darüber fantasiert, wie der Himmel für es aussehen wird. Dass es sich dort geliebt fühlen wird.

Nähe und Distanz

Es ist bemerkenswert, wie viel hier mit kleinen Gesten gespielt wird, mit Blicken und bewusster Stille. Nähe entsteht dabei fast ausschließlich durch Worte. Die einzige körperliche Berührung zwischen den beiden findet mit den Händen statt, zuerst beim gemeinsamen Gebet und später dann, als Erin Rileys Hand ergreift. Dass sie anschließend auch die Nacht zusammen verbringen, ist ein wichtiger Punkt, da sie eben nur zusammen schlafen, nicht miteinander. Die körperliche Distanz bleibt erhalten, ebenso die Verbindung über ihre Hände.

Die Liebesgeschichte von Erin und Riley ist mit das Beste an „Midnight Mass“, und das will schon was heißen, da ich weiterhin die Meinung vertrete, dass die Serie schlicht ein Meisterwerk ist. Ihre Liebe ist wie ein roter Faden, der die gesamte Handlung durchzieht und scheinbar unwichtig ist, aber schließlich entscheidend zum Finale beiträgt. Und vor allem ist sie ein seltenes Beispiel dafür, dass es eben nicht zwingend nackte Haut braucht, um zu zeigen, wie sehr zwei Menschen einander lieben.

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