Bücherstapel | Augustina Bazterrica „Wie die Schweine“

„Niemand darf Menschen sagen, weil ihnen dann etwas zugestanden werden müsste, also sagen alle Produkte oder Fleisch oder Nahrung.“

Fleisch ist Fleisch

Nach Ausbruch eines für den Menschen tödlichen Virus unter den Nutztieren musste der gesamte Tierbestand vernichtet werden. Was anfangs noch als illegale Notlösung praktiziert wurde, ist inzwischen normal und gesetzlich geregelt: Kannibalismus. Dieses „Spezialfleisch“ wird extra gezüchtet und für besondere Schmackhaftigkeit genetisch verändert. Marco, der auf einem Schlachthof arbeitet, hasst seine Arbeit zwar, doch kündigen kann er nicht. Sein Vater lebt im Heim, für das er allein aufkommt, weil seine Schwester ihre eigene Familie ernähren muss. Und Marcos Frau hat ihn nach dem plötzlichen Kindstod des gemeinsamen Sohnes verlassen. Da erhält er von einem Kunden ein Geschenk: ein Weibchen. Zunächst ist Marco unschlüssig, was er damit anstellen soll, doch er ist auch zunehmend fasziniert von ihr, und zögert die Schlachtung hinaus.

„Er neigt einer Theorie zu, die anfangs die Runde machte, deren Verfechter jedoch, wenn sie öffentlich darüber sprechen wollten, zum Schweigen gebracht wurden. Ein renommierter Zoologe, der in seinen Artikeln behauptete, das Virus sei eine Erfindung, erlitt einen gelegen kommenden Unfall. Er selbst glaubt ebenfalls, dass alles nur inszeniert ist, um die Überbevölkerung zu stoppen.“

Eine in sich nicht ganz stimmige Dystopie

Augustina Bazterricas Roman „Wie die Schweine“ ist ehrlicherweise schwer zu bewerten. Denn obwohl ich ihn innerhalb weniger Tage verschlungen habe (no pun intended) und von der Geschichte gefesselt war, blieb am Ende doch vor allem Ratlosigkeit. Ist es eine Metapher für unseren teils grausamen Umgang mit Nutztieren? Eine Dystopie? Eine Verschwörungsgeschichte? Vieles wird angerissen, aber nur weniges zu Ende gedacht.

Beginnen wir mit der Grundidee: Quasi von heute auf morgen bricht der Menschheit eine wichtige Nahrungsquelle weg. Aber mal im Ernst, wie wahrscheinlich ist es, dass wir als logische Konsequenz daraus Kannibalismus ableiten? Schon heute gibt es eine solche Fülle an pflanzlichen Ersatzprodukten, dass kaum nachvollziehbar ist, dass mehr als eine kleine Gruppe von Menschen tatsächlich nicht auf Fleisch verzichten will. Wohlgemerkt will, denn machbar ist es. Noch viel absurder ist allerdings, dass diese Minderheit genug Druck aufbauen kann, dass sich Regierungen dazu gezwungen sehen, das Essen von Menschen zu legalisieren und zu regulieren. An keiner Stelle im Roman wird eine Notsituation geschildert, die solche drastischen Schritte erklären würde. Beispielsweise, dass die Anbauflächen nicht ausreichen, um die gesamte Weltbevölkerung vegan zu ernähren. Oder dass man plötzlich feststellt, dass auf lange Sicht doch irgendwelche Nährstoffe fehlen. Zumindest der Versuch einer Erklärung wäre schön gewesen, damit die Prämisse des Buches nicht so völlig aus der Luft gegriffen wirkt.

Ein Hinweis könnte die immer wieder erwähnte Theorie sein, dass das Virus von der Regierung nur erfunden wurde, um das unkontrollierte Bevölkerungswachstum zu stoppen. Die Zusammenhänge kann man sich womöglich erschließen, denn erklärt werden sie eigentlich nicht. So besteht einerseits die Möglichkeit, dass wie oben beschrieben die Nahrung knapp wird, wenn plötzlich sämtliche Nutztiere wegfallen. Andererseits wird angedeutet, dass arme Menschen ihren eigenen Körper verkaufen, um ihre Familie ernähren zu können. Das ist zwar verboten („Fleisch mit Vor- und Zunamen“ wird es im Roman genannt), wird aber offenbar stillschweigend geduldet. Gerade dieser Aspekt hat mich bei der Lektüre am meisten gestört. Denn wenn schon die Theorie in den Raum gestellt wird, dass alles nur inszeniert ist, dann erwarte ich als Leser ein bisschen mehr als eine Handvoll Spekulationen des Protagonisten. Es gibt keine Auflösung, und für die Geschichte von Marco hat das alles am Ende auch keinerlei Relevanz. Er glaubt zwar an die Verschwörung, spielt aber mit.

Vielleicht ist die entscheidende Aussage des Buches diese: Alle Menschen, und mögen sie sich für noch so anständig halten, schauen am Ende nur auf den eigenen Profit. Auch Marco wird schließlich zum Nutznießer dieses Systems der Ausbeutung – wenn auch nicht des Fleisches wegen. Das macht ihn nicht besser als seine Schwester, auf die er herabschaut, weil sie tut, was eben alle tun. Wieso alle dabei mitmachen, bleibt letztendlich ungeklärt. Wir erfahren zwar von Marcos Vater, der wie viele ältere Menschen einen Nervenzusammenbruch erlitt, weil er nicht damit klarkam, dass plötzlich Menschen verspeist werden. Man kann sich auch denken, dass Kinder, die damit aufwachsen, das nicht in Frage stellen. Aber was ist mit der breiten Masse dazwischen? All die Leute, die die Zeit davor noch miterlebt haben, die wissen, dass es einmal anders war. Man möge sich doch einfach mal selbst die Frage stellen, ob man Menschenfleisch essen würde, wenn es jetzt hieße, alle Tiere sind verseucht. Kein zivilisierter Mensch würde das ohne Not tun, wieso also ist es für diese Leute so normal? Wieso kochen sie Spezialnieren in Zitronen-Kräuter-Marinade und empfinden das als Festessen? Und wieso bezeichnen sie Menschen, die das nicht tun, abfällig als „Veganoide“?

Ich tue mich schwer damit, eine klare Empfehlung für „Wie die Schweine“ auszusprechen, möchte das Buch aber auch keinesfalls kleinreden. Es ist fesselnde Lektüre, die jedoch für meinen Geschmack ein paar Lücken zu viel lässt und dadurch an der einen oder anderen Stelle etwas beliebig wirkt. Als Gedankenexperiment gelungen, als konsistente Erzählung gescheitert, so lässt es sich vielleicht am besten zusammenfassen. Am besten bildet ihr euch selbst ein Urteil, mit seinen knapp 240 Seiten ist das Buch schnell gelesen.

2 ½ von 5 fleischlosen Bananen.