The Handmaid’s Tale | Pigs (4×01)

„Maybe this is as free as we‘re going to get. Maybe we should make the best of it.“

June und die anderen Mägde befinden sich auf der Flucht und verstecken sich auf einem Hof. Spoiler!

Pain makes your world very small

Nachdem Sie insgesamt 86 Kinder ins Flugzeug nach Kanada geschafft haben, bringen die Mägde die angeschossene June in Sicherheit. Ihr Ziel ist der landwirtschaftliche Hof des senilen Kommandanten Keyes. Dessen vierzehnjährige Ehefrau Esther spielt sich zwar als stolze Hausherrin auf, wurde aber selbst tief verletzt und glorifiziert June regelrecht. Sie nimmt die Mädge auf und lässt sie als Marthas getarnt auf dem Hof arbeiten, scheint aber zu erwarten, dass sie sich nicht verstecken, sondern ihren Kampf gegen Gilead fortsetzen.

Solide, aber mehr und mehr unglaubwürdig

In seiner nunmehr vierten Staffel ist „The Handmaid‘s Tale“ irgendwie ein zweischneidiges Schwert geworden. So kann man „Pigs“ eigentlich nichts vorwerfen, denn die Folge ist spannend erzählt und solide inszeniert, aber darüber hinaus? Die Geschichte der June Osborne, die sich kontinuierlich gegen Gilead auflehnt und niemals die Konsequenzen tragen muss, wird zunehmend unglaubwürdig. Und will sie überhaupt noch raus oder gefällt sie sich mittlerweile so sehr in der Rolle als Mutterfigur der Geschundenen und Entrechteten? Man weiß es nicht, und genau das schwächt die Serie zusehends.

„They were led astray by a gifted and amoral liar, a Delilah. When she is hanging on the wall, justice will be done. She has eluded your soldiers for 19 days. She’s out there planning who knows what kind of atrocities to visit upon our righteous nation.“

Zufrieden sein oder weiterkämpfen?

Letzten Endes bleibt das die zentrale Frage: Was ist das Ziel? Für June war es einmal, Hannah zu retten. Das ist in weite Ferne gerückt, nachdem sie quasi zum Staatsfeind Nummer 1 geworden ist. Für die anderen Mägde ist es Freiheit, doch selbst die Definition davon scheint sich gerade zu wandeln. Alma spricht es am deutlichsten aus: Vielleicht sollten sie zufrieden sein und das Beste draus machen, denn freier werden sie vielleicht nie mehr sein. Aus ihrer Sicht ist ein Leben als Martha immer noch besser als ein Leben als Magd, und wer könnte es ihr verdenken?

Vielleicht ist das sogar die eigentliche Tragik des Ganzen. Die Machthaber gewinnen am Ende dadurch, dass ihre Untertanen den Kampf leid sind und mit dem bisschen vorlieb nehmen, was sie erreicht haben. Das ist nur menschlich. Und in Wirklichkeit ist es sogar höchst unglaubwürdig, dass jemand wie June immer weitermacht, obwohl sie so oft missbraucht, gefoltert, verprügelt und jetzt sogar angeschossen wurde.

Anpassung an den Feind

Geht es eigentlich nur mir so oder nimmt June wirklich auf erschreckende Weise immer mehr der eindimensionalen Denkweisen Gileads an? Unabhängig davon, wie verwerflich es ist, was diese Männer Esther angetan haben: Wahllos einen von ihnen hinzurichten, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu den Anschuldigungen zu äußern, sind genau die Methoden ihrer Unterdrücker. Er wird auf „Vergewaltiger“ reduziert, wie die Kommandanten die Mägde auf „Huren“ reduzieren.

Aber das bringt mich zur faszinierenden Figur der Esther. Nachdem wir drei Staffeln lang darauf getrimmt wurden, die Ehefrauen als Feinde zu betrachten, stellt sie einen wichtigen Wendepunkt dar. Nicht nur erzählerisch, sondern auch innerhalb der Geschichte Gileads. Denn sie dürfte der ersten Generation von Mädchen angehören, die sich nicht mehr daran erinnern, dass es jemals ein anderes Leben gegeben hat. Die ganz der Indoktrination dieses Staates ausgesetzt waren. Sie erkennt vielleicht nicht das Unrecht hinter allem, aber sie erkennt ihr eigenes Leid, und das ist entscheidend. Es ist außerdem so offensichtlich, dass sie niemals echte Mutterliebe kennengelernt hat und in June eine Ersatzmutter sieht.

Esther: „The commander couldn‘t do it. Couldn‘t do it most of the time when we first married with the pills and the needle shot into his thing. He wanted a baby, of course.“
June: „What‘d he do to you?“
Esther: „He would bring in other men, you know, guardians, eyes, even some commanders. And then they started coming more often for their turn to fuck me.“

Junes Tat zieht ihre Kreise

Auch einige andere Schicksale wurden in dieser Folge kurz gestreift. Am bedeutendsten war vielleicht, dass Kommandant Lawrence, der eigentlich nur noch auf seine Hinrichtung wartet, plötzlich zum Berater Gileads befördert wird. Wie genau Nick, inzwischen selbst Kommandant, das hingebogen hat, bleibt ein Rätsel – ebenso wie seine Beweggründe dafür.

Tante Lydia musste nach der Flucht der Mägde 19 Tage Folter über sich ergehen lassen, weil die Kommandanten sie dafür verantwortlich machen. Schließlich hat sie die Aufsicht über diese Frauen und sie offensichtlich nicht unter Kontrolle. Doch Lydia wäre nicht Lydia, wenn sie sich nicht auch aus dieser Situation herausreden könnte, indem sie June die ganze Schuld gibt. Was davon Show ist und was sie selber glaubt, ist immer weniger durchschaubar.

Derweil in Kanada erreicht die Nachricht von den geretteten Kindern auch Fred und Serena, die gerade auf ihre jeweiligen Prozesse warten. Hier erfahren wir eigentlich nichts Neues, denn beide reagieren so, wie es sich für wahre Gläubige Gileads gehört: Sie bedauern den Verlust. Entlarvend ist natürlich, wenn Serena auf ihre armen Familien hinweist und Tuello daraufhin erwidert, dass die Kinder in diesem Augenblick ihre (echten) Familien wiedersehen.

Blessed be the fruit

• Janine nennt das Schwein, um das sie sich kümmert, Mr. Darcy. Ein subtiler Hinweis darauf, dass selbst die vermeintlichen Traummänner Schweine sind?
• Ich glaube, so eindeutig wie hier wurde noch nie gezeigt, wie verkommen Gileads Kommandanten wirklich sind. Was verspricht man sich davon, eine Vierzehnjährige mit einem senilen Knacker zu verheiraten?

4 von 5 als Marthas getarnten Bananen.

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