The Handmaid’s Tale | Testimony (4×08)

„Why does healing have to be the only goal? Why can‘t we be as furious as we feel? Don‘t we have that right?“

June bereitet sich darauf vor, gegen die Waterfords auszusagen. Lydia fühlt sich überflüssig. Spoiler!

You people hide behind God every time it serves you

June wird Teil der von Moira geleiteten Selbsthilfegruppe, kann aber nur wenig damit anfangen. Während die anderen Frauen von Akzeptanz und Weitermachen sprechen, fühlt sie selbst nur Wut, die sie nun gegen niemanden mehr richten kann. Außer gegen die Waterfords, bei deren Anhörung sie eine Aussage machen soll. Derweil fühlt sich in Gilead auch Tante Lydia zunehmend außen vor, denn die neuen Mägde sind so folgsam, dass sie eigentlich kein Training von ihr brauchen.

Kein Selbstmitleid

Eine herausragend gute Folge, die interessanterweise von Reviewern sehr unterschiedlich interpretiert wird. Während die einen sagen, dass es wichtig ist, der Wut, die die Frauen fühlen, Ausdruck zu verleihen, glauben andere, dass June sie nur anstachelt, um ihre eigenen Gefühle zu legitimieren. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen, denn Selbstmitleid macht sie nur erneut zu Opfern, während ein bisschen Wut vielleicht ganz gut tut, um die Kontrolle über das eigene Leben zurückzuerlangen.

„I am grateful to be speaking to you today, but mine is just one voice. Countless others will remain unheard, imprisoned by men like Fred Waterford. Women, my friends who lost their lives and can never be heard. It is for those women that I ask the International Criminal Court to confirm the charges against this man and put him on trial. I ask for the maximum possible sentence. I ask for justice.“

Gilead konnte June nicht brechen

Herzstück der Folge ist zweifelsfrei Junes titelgebendes „Testimony“. Die Kamera verweilt während ihrer gesamten Rede auf ihrem fast regungslosen Gesicht, und die Worte, die sie wählt, sind präzise, von fast objektiver Klarheit. An keiner Stelle lässt sie sich dazu hinreißen, zu übertreiben, sie nennt ausschließlich Fakten, und das macht das Geschilderte fast noch schrecklicher. Es wäre nur allzu verständlich gewesen, wenn June zusammengebrochen wäre, und ich denke, ein bisschen haben das auch alle Anwesenden erwartet. (Freds und Serenas fast schockierter Ausdruck angesichts der emotionslosen Auflistung ihrer Taten ist Gold wert.)

Am Ende ist es wohl auch genau das, was sie erreichen wollte. Gilead hat alles versucht, um sie zu brechen – und ist gescheitert. Im Grunde ist das auch der entscheidende Unterschied zu den Frauen in der Gruppe. Sie weiß, dass das, was sie getan hat, notwendig war, um zu überleben, und dass sie sich dafür nicht schämen muss. Das Letzte, was sie will, ist Mitleid, denn das hieße, sie wäre schwach. Vielleicht klammert sie sich auch deshalb so an ihre Wut, denn sie gibt ihr das Gefühl, stark zu sein und die Oberhand zu haben.

Emily kann einen Schlussstrich ziehen

Was mich zurück zur Gruppe und speziell zu Emily bringt. Wir haben bereits gehört, dass sie sich schwer tut, ihr altes Leben wiederaufzunehmen. Ihre Ehe kriselt und für eine Lehrtätigkeit fühlt sie sich noch immer noch stark genug. Und das ist der Punkt, denn sie bedauert nur, was sie verloren hat, aber sie kann nichts dagegen tun. Jetzt, wo sie in Kanada ist, ist da niemand mehr, gegen den sie ihre angestaute Wut richten kann. (Was übrigens auch der Grund ist, weswegen ich glaube, dass June über kurz oder lang nach Gilead zurückkehren wird.)

Die ehemalige Tante, die sich an sie wendet, um sie um Vergebung zu bitten, ist so gesehen nur ein Bauernopfer. Ohne hier eine Debatte über das leidige Thema der „unschuldigen“ Befehlsempfänger lostreten zu wollen, steht für Emily fest, dass sie für einen großen Teil des Leids verantwortlich ist, das sie ertragen musste. Und ja, ich kann gut verstehen, dass es sie befriedigt, sie am Baum hängen zu sehen. Sie hat sie zwar nicht eigenhändig aufgeknüpft, aber sie hat sie garantiert dazu getrieben, und das gibt ihr zum ersten Mal seit langem wieder ein Gefühl von Macht.

Fred: „God tests us. He tests us with a heavy hand. The sacrifices we all made in Gilead were difficult, but where else on earth is the birthrate rising? Nowhere, only in Gilead because it works. It works. We chose God‘s path and have been rewarded for our suffering.“
June: „Tell me, how was I rewarded for my suffering?“

Tante Lydia ist überflüssig geworden

Tante Lydia sieht ihre Macht unterdessen schwinden, und das ist fast schon wieder komisch. Da sie ihren Posten nur durch den Einfluss von Kommandant Lawrence wiederbekommen hat, sollte es sie nicht sonderlich überraschen, dass die anderen Tanten sie weiterhin belächeln. Obwohl ich gestehen muss, dass ich irgendwie verpasst habe, wann sie von der gefürchteten Tyrannin zur verbiesterten Oma geworden ist.

Aber am Ende muss ich wohl einsehen, dass ich Lydia noch nie verstanden habe. Die Tatsache, dass die neuen Mägde so unterwürfig sind, sollte sie eigentlich glücklich machen. (Wobei Lawrences fast beiläufiger Satz, dass diese Frauen in Gilead aufgewachsen sind und nichts anderes kennen, den wahren Horror dieser Diktatur ausdrückt.) Stattdessen sucht sie geradezu nach Fehlern, was auf mich den Eindruck macht, dass es ihr eben doch nur darum geht, Frauen misshandeln zu können. (Und das bereitet mir vor allem deshalb Sorgen, weil Janine noch lebt und wieder bei ihr gelandet ist.)

Von Gilead lernen heißt siegen lernen

Fred und Serena scheinen sich derweil erst mal wieder miteinander arrangiert zu haben. Ich fand es ja überaus amüsant, dass Serena ihren Mann vor der Anhörung noch darauf hinweist, dass er um des guten Eindrucks Willen June bitte nicht mehr Offred nennen soll. Und wie typisch war das, dass er es selbst da nicht lassen kann und predigen muss, wie toll und erfolgreich das Konzept Gilead ist. (Schweigen wir lieber über die Anwältin, die sich doch tatsächlich entblödet, June die Schuld für alles geben, was ihr widerfahren ist.)

Was ich allerdings so gar nicht verstehen kann, sind die Leute, die ihnen am Ende der Folge zujubeln. Was sind das für Menschen? Ist denen eigentlich klar, dass die Vergewaltiger und Sklavenhalter idolisieren? Ganz ehrlich, mein erster Gedanke dazu war: Dann geht doch nach Gilead, wenn ihr das alles so super findet!

Blessed be the fruit

• June schneidet sich die Haare. Selber. Ich weiß, das ist so ein klassischer Befreiungsakt in Filmen und Serien, aber wäre es das weniger, wenn sie einfach zum Friseur ginge?
• Ich fand es durchaus aufschlussreich, dass June nicht will, dass Luke bei der Anhörung dabei ist. Auch das wohl vor allem, weil sie glaubt, er könne sie danach als Opfer sehen. Dennoch denke ich, dass es richtig war, dass er trotzdem kam. Er muss diese Dinge wissen, damit sie gemeinsam heilen können.

5 von 5 wütenden Bananen.

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