„Andor“ und die Zukunft von „Star Wars“

„Wir brauchen Hilfe vom Imperium. Wir brauchen ihren Zorn. Wir brauchen Unerbittlichkeit. Unterdrückung erzeugt Rebellion.“

Als „Star Wars“ 1977 die Kinos eroberte, war das mehr ein kulturelles Phänomen als ein Blockbuster. Der Film verband auf bis dato einzigartige Weise technologischen Fortschritt mit märchenhafter Naivität – ein Konzept, das Erwachsene und Kinder gleichermaßen in den Bann zog. Das Problem: „Star Wars“ ist nie erwachsen geworden und kreist bis heute um die immer gleichen Themen. Serien wie „The Mandalorian“ und zuletzt „Andor“ trauen sich, aus diesem Korsett auszubrechen, und könnten dem Franchise zu neuer Relevanz verhelfen. Spoiler!

Es war einmal in einer Galaxis weit, weit entfernt …

Wie wahrscheinlich die meisten Menschen, habe auch ich „Star Wars“ zum ersten Mal als Kind gesehen. Mit zwölf Jahren befand ich mich gerade in diesem seltsamen Zustand zwischen Kindsein und Erwachsenwerden, als die Originaltrilogie im Fernsehen lief und mich sofort begeisterte. Die Anekdote geht so, dass ich mich in Luke Skywalker verguckte, doch wahrscheinlicher ist, dass mich vor allem der klassische Kampf Gut gegen Böse mitsamt dem esoterischen Unterbau ansprach. Ich mutmaßte einmal, dass mir in dem Alter langsam bewusst wurde, dass es eine klare Unterscheidung zwischen Helden und Bösewichtern im echten Leben nicht gibt – und mich genau deshalb danach sehnte.
In der Folgezeit konnte „Star Wars“ gar nichts falsch machen. Die Filme waren über jeden Zweifel erhaben und absolute Meisterwerke, George Lucas ein Genie, die Dialoge wahre Poesie. Das heißt nicht, dass ich alles bierernst nahm. Im Gegenteil, als ich mit einigen Freunden Ende der 1990er den „Star Wars Club Skywalker“ gründete und wir monatlich ein Magazin schrieben, strotzte das nur so vor Albernheiten und Ironie. Trotzdem herrschte unausgesprochener Konsens, dass die Filme heilig sind. Das änderte sich erst, als die Prequeltrilogie in die Kinos kam. Wir mühten uns redlich, das Ganze schönzureden, wussten aber eigentlich, dass das alles ziemlicher Quark war.

Zu viel Ehrfurcht vor dem Original

Die Filme und inzwischen auch Serien, die in den letzten zwanzig Jahren unter dem Banner „Star Wars“ erschienen sind, krankten an ganz unterschiedlichen Problemen. Der gemeinsame Nenner aber ist, dass die Autoren offenbar nie über die kindliche Einstellung hinweggekommen sind, dass George Lucas’ ursprüngliche Idee unantastbar ist. Es geht immer noch vorrangig um die Skywalkers oder Figuren, die eng mit ihnen verknüpft sind. Es geht immer noch vor allem um die Jedi und die Sith und all das Gemauschel rund um die Macht. Es geht immer noch um den Kampf Gut gegen Böse, was langsam fast autistische Züge annimmt.
Ein Paradebeispiel dafür ist die Serie „Obi-Wan Kenobi“. Ich will nicht lügen, ich habe mich darauf gefreut, denn auch wenn ich der Prequeltrilogie rückblickend nicht mehr viel abgewinnen kann, so war Ewan McGregor doch immerhin ein Lichtblick darin. Und ihm kann man eigentlich auch keinen Vorwurf machen, denn er versucht nach Kräften, den blutleeren Drehbüchern Leben einzuhauchen. Allein, es ist vergebene Liebesmüh, denn die Geschichte ist altbacken, vorhersehbar und auf so epische Weise kleinkariert, dass man sich ehrlich fragt, ob da jemand seine Fanfiction aus Kindertagen verwurstet hat.

Politthriller im Science-Fiction-Gewand

An diesem Punkt war ich bereit, meine erklärte lebenslange Liebe zu „Star Wars“ etwas abzukürzen. Nur eine Sache hatte ich da noch auf meiner Liste, und die Erwartungen daran waren denkbar niedrig: „Andor“. Ich glaube, basierte die Serie nicht gerade auf dem einen Film („Rogue One“), der so was wie ein erzählerischer Hoffnungsschimmer im Franchise war, hätte ich mir gar nicht erst die Mühe gemacht. Und hätte etwas verpasst, was nichts geringeres als die Zukunft von „Star Wars“ sein könnte.
Um Protest vorzubeugen: „Andor“ ist weit davon entfernt, perfekt zu sein, macht aber so vieles so richtig, dass der Vergleich mit Science-Fiction-Serien außerhalb des Franchises erstmals nicht gänzlich unangebracht scheint. Das fängt damit an, dass der Showrunner keiner der üblichen Verdächtigen ist, der sich einen Kindheitstraum erfüllen wollte, sondern ein Drehbuchautor, der zuvor vor allem im Bereich Politthriller und Spionagedrama erfolgreich war. Jemand also, der ohne Heiligenverehrung an die Materie herangeht.
Ich habe nie verstanden, warum sich ausgerechnet „Star Wars“ so schwer damit tut, andere Genres auszuprobieren. Wenn unser damaliges Clubmagazin nämlich eines bewiesen hat, dann, dass das Universum geradezu prädestiniert dafür ist. Diese Erkenntnis scheint langsam auch bei den Verantwortlichen durchzusickern, denn „The Mandalorian“ war bereits ein erster, sehr gelungener Vorstoß in diese Richtung. „Andor“ ist in der Hinsicht sogar noch radikaler, denn die Worte Macht und Jedi fallen in den zwölf Episoden nicht ein einziges Mal. Und obwohl es sich anböte, gibt es auch keinen Auftritt von Darth Vader.
Stattdessen gelingt der Serie etwas ganz Außergewöhnliches, etwas, was wir aus dem „Star Wars“-Universum so bisher nicht kennen: Sie fühlt sich echt an. Nicht überlebensgroß, nicht episch, sondern real und kompliziert und verdammt menschlich. Der Gebraucht-Look, der die Technik der Rebellen in der Originaltrilogie prägte, ergibt plötzlich praktischen Sinn. Und das Imperium ist nicht einfach nur ein abstrakter Bösewicht, sondern eine durch gnadenlose Gesetze im Alltag der einfachen Leute spürbare Gefahr. Hey, die Sturmtruppler schießen nicht mal daneben!

Ein wichtiger Beitrag zum Thema Faschismus

Das wirklich Bemerkenswerte aber ist, dass „Andor“ rückwirkend selbst den originalen Filmen mehr Tiefe verleiht. Denn da die Serie fünf Jahre vor der Schlacht von Yavin angesiedelt ist, also fünf Jahre vor der Zerstörung des ersten Todessterns, kann sie erzählen, wie das Imperium, so wie wir es kennen, entstanden ist – und mit ihm unweigerlich auch der Widerstand dagegen. Damit ist „Andor“ ein Lehrstück über den Aufstieg des Faschismus, das uns heute mehr denn je nachdenklich stimmen sollte. Das Imperium war nicht einfach eines Tages da, sondern zog die Schlinge unmerklich enger, so dass es die Mehrzahl der Leute gar nicht merkte, bis es zu spät war.
Persönlich im Gedächtnis geblieben sind mir zwei Sequenzen. Zum einen die Hoffnung der anderen Gefangenen, als Cassian Andor ins Arbeitslager nach Narkina 5 kommt und sie ihn ausfragen, ob man draußen darüber redet, dass das Imperium Strafen einfach nach Gutdünken verdoppelt. (Die Antwort lautet übrigens nein, keiner weiß auch nur davon.) Zum anderen natürlich die in jeder Hinsicht großartige letzte Folge, in der eine Begräbnisprozession in einen Ausbruch offener Gewalt gegenüber den Besatzern mündet. Genau das meint Luthen Rael, wenn er sagt, dass Druck Gegendruck erzeugt und sich das Imperium mit jeder neuen Machtdemonstration nur selbst schadet.
„Andor“ umschifft dabei geschickt die für „Star Wars“ typische Einseitigkeit der Erzählung, indem uns gleich eine ganze Reihe von Perspektiven gezeigt werden. Da sind die einfachen Leute, die in Ruhe ihr Leben leben und ihre Kultur erhalten wollen. Die Mitglieder einer nur mehr zum Schein aufrechterhaltenen Regierung, die ihre verbliebene Macht nutzen, um den Widerstand zu organisieren. Oder auch die Angestellten der Sicherheitsbehörde des Imperiums, die keineswegs alle fanatisch sind. Einige von ihnen wollen einfach nur ihren Job, andere um jeden Preis Karriere machen; keiner verschwendet auch nur einen Gedanken an das verursachte Leid, weil es sie selbst nicht betrifft.

Ein Universum voller ungenutztem Potenzial

Seinen märchenhaften Kern wird „Star Wars“ immer behalten, und das ist in Ordnung, denn hin und wieder kehre ich auch gerne zu jenen ersten, wunderbar naiven Filmen zurück. Doch wenn das Franchise eine Zukunft haben will, braucht es mehr Serien wie „Andor“ und „The Mandalorian“. Geschichten, die sich von den Ursprüngen entfernen und andere Facetten zeigen dürfen, die neuen Figuren folgen und neue Welten erkunden statt immer nur auf Tatooine herumzudümpeln. Denn dann hat die Galaxis weit, weit entfernt noch einiges zu bieten.