Der Weg ist das Ziel, oder: Achtung, Spoiler!

Spoiler alert: Life’s a short movie and in the end, everybody dies.


Also way too talky and not enough nudity.

Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass man eine Geschichte nur dann richtig genießen kann, wenn man ihren Ausgang nicht kennt. Doch Moment, ist das wirklich so? Wie erklären wir dann den ungebrochenen Hype um Prequels? Und beweist eine Serie wie „Andor“ nicht gerade, dass das ganze Gegenteil der Fall ist, dass das Wissen um das Ende die Reise nur umso bedeutsamer macht?
Dieser Artikel enthält keine Spoiler.

Nicht alles, was sich Spoiler schimpft, ist auch einer

Kürzlich schaute ich nach vielen Jahren mal wieder M. Night Shyamalans „The Sixth Sense“. Es ist erstaunlich, wie klar ich mich noch daran erinnere, wie mich der Twist damals umgehauen hat. Und ich bin im Grunde auch immer noch der Meinung, dass man den Film beim ersten Mal ohne jedes Vorwissen schauen sollte. Shyamalans meisterhafte Erzählung jedoch weiß man erst wirklich zu würdigen, wenn man die Auflösung kennt. „The Sixth Sense“ ist – auch wenn die Grundprämisse dem zu widersprechen scheint – ein Film, der durch den Spoiler erheblich gewinnt.
„Spoiler“ ist in den letzten Jahren zum reinen Triggerwort verkommen, mit dem wir Content Creator geradezu inflationär um uns werfen. Wir wurden darauf abgerichtet, denn man kann sich fast sicher sein, dass sofort jemand rumjammert, man hätte ihm die Serie/den Film/das Buch verdorben, sobald man es einmal vergisst. Dabei ist der Spoiler gar nicht so schlecht wie sein Ruf. Gut, den Twist von „The Sixth Sense“ zu verraten, ist gemein, aber auf Details von … sagen wir „Dune“ einzugehen, schmälert weder das Lese- noch das Seherlebnis. Im besten Fall richtet es den Fokus auf Dinge, die einem sonst entgangen wären.

Franchises leben vom Vorwissen der Zuschauer

Ein Prequel, also die Vorgeschichte zu einer bereits bekannten Story, macht den Spoiler zum zentralen Bestandteil der Erzählung. Ja, in gewisser Weise ist er sogar das Verkaufsargument, denn dem Konsumenten wird gesagt: Hey, du mochtest, wie die Geschichte ausgeht? Wir verraten dir, wie sie anfing. Die „Star Wars“-Prequels sind in der Hinsicht fast der Extremfall, denn betrachtet man sie losgelöst von dem, was darauf folgt, sind sie eigentlich ziemlich deprimierend. Das Wissen der Zuschauer wird aktiv eingefordert, zumindest aber seine Bereitschaft vorausgesetzt, danach weiterzuschauen.
„Rogue One“ ging das von vornherein etwas anders an. Der Film wurde zwar als „A Star Wars Story“ vermarktet, jedoch stand die Franchise-Zugehörigkeit hier weniger im Vordergrund. Er funktioniert nicht nur losgelöst von „A New Hope“, der inhaltlich direkt daran anschließt, aber für das Verständnis nicht zwingend notwendig ist. Er funktioniert auch ohne jedes Wissen um „Star Wars“ recht gut, weil er sich auf seinen eigenen Plot konzentriert statt an allen Ecken und Enden etwas hinzufügen zu wollen.

„I’m grateful for everyone who would want to read a spoiler because it means that they care and want to see the movie. I know what it feels like, as an enormous ‚Star Wars‘ fan myself.“
(J. J. Abrams)

„Andor“ und „Rogue One“ geben einander Kontext

Das bringt mich unweigerlich zu „Andor“, dem Prequel zum Prequel. Ich kann mich gut der Diskussionen darüber entsinnen, ob wir wirklich eine Serie über eine Nebenfigur eines Films brauchen, der die Fans eher gespalten hat. Und ich meine, die Antwort ist eigentlich immer noch die gleiche: Nein, gebraucht haben wir sie nicht. Das Schöne an „Rogue One“ ist ja gerade, dass er für sich stehen kann. Aber „Andor“ gelingt das Kunststück, dem Film rückwirkend ungeahnte Tiefe zu verleihen, ohne von ihm abhängig zu sein.
Die Sache ist die: „Andor“ braucht „Rogue One“ nicht. Die Serie hat ihre eigenen Plots, und obwohl sich der Bau des Todessterns wie ein roter Faden durch die Erzählung zieht, wird die Bedrohung erst ganz zum Schluss wirklich greifbar und dient so als Brücke zum Film. Dessen ungeachtet bietet „Andor“ einen befriedigenden Abschluss. Doch vielleicht auch gerade wegen seiner hoffnungsvollen Note wirkt er umso stärker nach, wenn man bereits weiß, wie Cassian Andors Geschichte ausgeht.
Gleichzeitig wird „Rogue One“ so viel emotionaler, wenn wir die Vorgeschichte kennen. Wenn wir erlebt haben, wie Cassian vom Söldner zum Rebellen wird, können wir sein Handeln im Film besser nachvollziehen. Wenn wir wissen, wie lang der Weg zu den Plänen des Todessterns wirklich war, verstehen wir seine Entschlossenheit. Und wenn wir gesehen haben, wofür er kämpft, dann sind auch seine Opfer so viel mehr wert.

„Andor“ leistet Basisarbeit für ganz „Star Wars“

Ich möchte noch einen Schritt weitergehen und behaupte, dass „Andor“ nicht nur „Rogue One“ reicher macht, sondern sogar „A New Hope“. Die ersten „Star Wars“-Filme sind moderne Märchen, die sich noch sehr formelhaft mit dem Kampf Gut gegen Böse auseinandersetzen. Entsprechend ist auch die Rebellion darin mehr eine Idee als eine greifbare Widerstandsbewegung. Luke Skywalker träumt davon, ein Held der Rebellion zu werden – eine stark romantisierte Vorstellung von Widerstandskampf.
„Andor“ ist in der Hinsicht das extreme Gegenbeispiel, denn hier ist wirklich gar nichts märchenhaft, am wenigsten der Kampf gegen das Imperium. Leute sterben. Ständig. Cassian träumt nicht von einem Heldendasein, er will harte Währung für seine Dienste. Zum Freiheitskämpfer wird er erst, weil er durch das Imperium alles verliert. Und Überraschung, auch die Rebellion tötet Informanten, wenn sie zum Sicherheitsrisiko werden. Es steht wirklich etwas auf dem Spiel, und dieses Hintergrundwissen hilft „A New Hope“.

Keine Geschichte ist je auserzählt

Geschichten befinden sich immer im Fluss, selbst wenn wir meinen, genau zu wissen, wo sie beginnen und enden. Ob nun findige Produzenten beschließen, noch etwas Geld damit zu machen, oder Leser und Zuschauer selbst die vermeintlichen Lücken füllen – die Reise ist wichtiger als das Ziel. Und manchmal ist es durchaus reizvoll, die Anfänge einer Geschichte zu hören, deren Ausgang man bereits kennt. Manchmal verändert sich dadurch der Blick auf das Ende, manchmal verleiht das Ende dem Anfang mehr Bedeutung. So oder so sind Prequels ein spannendes Genre, das so schnell nicht wieder verschwinden wird. Zum Glück.