„In der Tat ist ein Buch, das nicht wert ist, zweimal gelesen zu werden, auch nicht würdig, daß mans einmal lieset.“ (Jean Paul)
Wer hat schon die Zeit, Bücher mehrmals zu lesen? Mit einem stetig wachsenden Stapel ungelesener Romane im Nacken kann ich die Bücher, die es mehr als einmal auf meine Leseliste geschafft haben, an einer Hand abzählen. Ironischerweise habe ich diese im Laufe der Jahre aber auch schon drei- oder viermal gelesen – und wahrscheinlich nicht zum letzten Mal. Lasst uns heute also mal darüber sprechen, wie sich Bücher mit uns verändern.
Ungewissheit vs. Vertrautheit
Ein neues Buch anzufangen ist ein bisschen wie der erste Arbeitstag in einem neuen Job. Man ist aufgeregt und neugierig, hat Angst, etwas nicht zu verstehen und dumme Fragen zu stellen, und müht sich ab, ein Dutzend Namen gleichzeitig im Kopf zu behalten. Das ist ein ganz besonderes Gefühl, das sich innerhalb weniger Seiten ebenso in Begeisterung wie in Ernüchterung auflösen kann.
Zu einem bereits gelesenen Buch zu greifen, ist in gewisser Weise sicherer. Man weiß, dass man es mag, und die Figuren sind wie gute Freunde, die man nur eine Weile nicht mehr gesehen hat. Ich glaube, es ist nur allzu verständlich, dass wir uns manchmal nach diesem Gefühl der Vertrautheit sehnen, ständig Neues auszuprobieren, ist schließlich anstrengend. Auch Filme und Serien schauen wir ja immer wieder.
„Das Leben ist so kurz! Selbst wenn Sie ein Bücherfresser sind, und nur fünf Tage brauchen, um ein Buch zweimal zu lesen, schaffen Sie im Jahr nur siebzig. Und für die fünfundvierzig Jahre, von fünfzehn bis sechzig, die man aufnahmefähig ist, ergibt das 3.150 Bände: die wollen sorgfältig ausgewählt sein.“ (Arno Schmidt)
Warum lesen wir Bücher mehrmals?
Ich weiß nicht, ob es irgendetwas über mich aussagt, dass mir in puncto Unterhaltung der Kitzel des Unbekannten lieber ist, denn im echten Leben würde ich Routine jederzeit vorziehen. Ist es nur das drückende Bewusstsein all der Geschichten, ich nie werde lesen können, weil das Leben viel zu kurz dafür ist?
Die „Per Anhalter durch die Galaxis“-Reihe dürfte sowieso die einzige sein, die ich aus purer Freude immer wieder lese, alle anderen Bücher habe ich eher deshalb mehrfach gelesen, weil sie einen wichtigen Einfluss auf mein Leben hatten. Romane wie „Sturmhöhe“, „Der scharlachrote Buchstabe“ oder „Jane Eyre“.
Und das ist eigentlich auch das, worauf ich hinaus will: Bücher verändern sich. Oder wir verändern uns, es läuft auf dasselbe hinaus. Je mehr wir erleben und lernen, desto mehr wandelt sich unser Blick auf die Welt – auch auf die in Büchern. Dinge, die einem früher entgangen sind, werden plötzlich zum Mittelpunkt der Lektüre.
Eigene Erfahrungen beeinflussen das Lesen
Es war übrigens Martin Andersen Nexøs „Ditte Menschenkind“, das mich auf das Thema gebracht hat. Ich kann nicht sagen, was meinen Vater damals zu der Annahme verleitete, das Buch sei perfekt für eine Vierzehnjährige, heute weiß ich, ich war zu jung dafür. Nicht, dass mir die Lektüre in irgendeiner Weise geschadet hätte, aber nachdem ich den Roman jetzt noch mal gelesen habe, weiß ich, dass ich ihn nicht mal im Ansatz verstanden hatte. Ich brauchte erst ein gewisses Maß an eigener Lebenserfahrung, um an Dittes bitterer Lebensgeschichte wirklich teilnehmen zu können.
Inzwischen frage ich mich, welche anderen Bücher meiner Jugend von einer Zweitlektüre profitieren könnten. (Ob „Emma“ wohl endlich spannend wäre?) Ist es am Ende mehr wert, nur eine Handvoll Bücher richtig gelesen zu haben als Hunderte mal so eben nebenbei? Was ich übrigens auch weiterhin nie wieder lesen werde, ist Otfried Preußlers „Krabat“. An den Inhalt erinnere ich mich zwar nicht, aber das wohlig gruselige Gefühl, das ich als Kind dabei empfunden habe, werde ich auf ewig in Ehren halten und nicht um der Neugier willen verwässern.
3
Ich höre seit einiger Zeit Hörbücher, aber ausschließlich von Büchern, die ich schon kenne. Diejenigen von mir unbekannten Vorlagen interessieren mich seltsamerweise gar nicht. Insofern nutze ich Hörbücher quasi zur Zweitlektüre. Als eine andere Herangehensweise an den Stoff – und es ist faszinierend, wie anders sich Romane manchmal anfühlen, wenn man sie vorgelesen bekommt. Abhängig davon, wie viel Zeit seit dem Lesen verstrichen ist, hat es schon was von nochmaligem ersten Erleben.
Hm, das ist tatsächlich spannend. Vielleicht kriegt man durch die Art, wie der Sprecher es vorliest, fast schon dessen Interpretation mit auf den Weg.
Für mich ist das leider keine Option, ich komm mit Hörbüchern überhaupt nicht klar. Entweder mache ich was nebenher, dann vergesse ich irgendwann, zuzuhören. Oder ich höre nur zu, dann langweilen sich meine Augen und Hände. Ich hab’s versucht, es funktioniert nicht. 😞 Hörspiele sind wieder eine andere Geschichte…
Ich hatte dasselbe Problem damit. Wie manche Leute dabei Autofahren können, ist mir ein Rätsel. Ich würde das meiste der Geschichte verpassen, wenn ich mich auf den Verkehr konzentrieren muss.
Ich höre sie tatsächlich ausschließlich im Fitnessstudio, da war mir zuvor immer elend langweilig, weil man da ja nicht wirklich den Kopf braucht, um je dreimal 15 Wiederholungen auszuführen.
Hörbücher sind dafür perfekt, ich mag echt nicht mehr ohne.
Jes. Cooler Post.
Hm. Ob Jean Paul recht hat? Möglich. Arno Schmidt? Vielleicht. Ich würde schon sagen, manche Bücher einmal ordentlich und ‚richtig‘ gelesen zu haben, macht schon auch Sinn. Aber dennoch, egal wie oft man jetzt ein Buch auch liest, es ist wie du sagst wir verändern uns und somit kann man wohl nie, auch mit nur einem Buch, jemals zurande kommen.
Eine Zeit lang habe ich tatsächlich viele Bücher wieder und wieder gelesen. Schon auch neues zwischendurch aber dann doch immer wieder der Griff zu altbekannten. In ‚letzter‘ Zeit jedoch habe ich nicht so das Bedürfnis etwas wiederum zu lesen. Auch nicht von den früheren Büchern. (Aktuell da lese ich mich durch das gesammelte Werk von C G Jung. Das sind ich meine über zwanzig Bände. Und bei solchen Großprojekten da drängt sich dann das Thema Zeit auf die eine oder andere Weise schon mal auf).
Bücher welche ich in absehbarer Zeit oder wahrscheinlich überhaupt kein zweites Mal lesen werde die habe ich auch. Aber weil du sagst dieses Gefühl in Krabat. Was würde ich dafür geben so manche Bücher wiederum zu ersten Mal zu lesen. Poe zum Beispiel. Die Mordtaten in der Rue Morgue. Da war etwas. So ein Gefühl von Grusel und Spannung. Bei der zweiten Lektüre, natürlich möchte man fast sagen, war dieser eine Effekt dann weg. Obwohl es nicht genau das ist was ich sagen möchte.
Ein anderes Beispiel vielleicht noch. Der Herr der Ringe. Beim ersten lesen (Übersetzung Krege), da hatte das ganze so etwas tief ‚Märchenhaftes‘. Bei der zweiten Lektüre konnte ich dieses ‚Gefühl‘ nicht mehr wiederfinden. Ich war da eine Zeit lang richtig gehend enttäuscht von dem Buch.
Oder es fällt mir da jetzt ein der dunkle Turm von King. Gefühlt habe ich die Reihe ja ohne Unterbrechung und Luft zu holen in einem wahren Delir und Leserausch wie im Fieber gelesen. (Lesen ist in diesem Fall ein nur kaltes Wort). Ich meine es juckt mich schon in den Fingern. Aber ja.
Lustigerweise habe ich zumindest den ersten Band vom „Dunklen Turm“ schon seit einer Weile auf meiner Liste. Den möchte ich unbedingt noch mal lesen, weil er für sich alleinstehend so genial und anders war. Ob ich danach noch mal auf die ganze Reise gehe, wird sich zeigen.
Das Gefühl, etwas noch mal zum ersten Mal erleben zu wollen, kenne ich bislang eher von Filmen („Star Wars“, hach, das wär ein Traum), aber selbst hier würde ich argumentieren: Wäre die Erfahrung noch einmal so bedeutend? Für manches gibt es vielleicht nur eine Zeit und einen Ort.
Vorletztes Jahr hatte mich ja „Vita Nostra“ so überrumpelt, an jene spannungsgeladenen Abende (und die darauffolgenden wilden Träume) erinnere ich mich noch gut. Ich liebe das Buch, ich will es unbedingt irgendwann noch mal lesen, aber ich habe Angst, dass es dann nicht mehr so ist. Schon die Fortsetzung fand ich eher schwach und weiß nicht, ob es an mir oder am Buch lag.
Jaaa, ist ein vielschichtiges Thema …