Daredevil: Born again | Straight to Hell (1×09)

„In this case, a dead hero is better than a live vigilante.“

Im Schutz eines Stromausfalls greift Fisk nach der Macht und entfesselt auf New Yorks Straßen die Gewalt. Spoiler!

Never forget, I love New York

Bürgermeister Fisk nutzt den Anschlag auf sein Leben, um die Stadt abzuriegeln und während eines absichtlich herbeigeführten Stromausfalls seine Task Force von der Leine zu lassen. Auch Matt Murdock soll dran glauben, doch der flüchtet aus dem Krankenhaus und trifft zu Hause ausgerechnet Frank Castle an, der Karen versprochen hat, sich um ihn zu kümmern. Karen sammelt die beiden ein, nachdem die Task Force das halbe Haus in die Luft gejagt hat, doch der Kampf scheint verloren, New York befindet sich fest im Griff von Wilson Fisk.

Mehr Zwischenstopp als Finale

Ich gebe zu, ich habe diese Folge zweimal geschaut, bevor ich auch nur ein Wort niedergeschrieben habe. Und so recht weiß ich noch immer nicht, was ich eigentlich sagen soll. „Straight to Hell“ ist das Einhorn unter den Staffelfinalen – ambitioniert, aber auch ein bisschen unbefriedigend. Dass der Bösewicht siegt, und sei es auch nur in der Halbzeit einer größeren Handlung, ist selten und aufregend, lässt einen aber doch ziemlich in der Luft hängen.

„Effective immediately, all vigilante activity is illegal, and it will be dealt with accordingly. Curfew is at 8:00 p.m. And in the immediate future, New York City is under martial law.“

Kein Helden-Arc für Matt Murdock

Showrunner-Wechsel, Nachdrehs und ein generell geraffter Handlungsbogen haben dazu geführt, dass die erste Staffel „Daredevil: Born again“ eigentlich keinen richtigen „Arc“ für seinen Helden hatte. Ganz im Gegensatz zu seinem Antagonisten Fisk, der vom Gangsterboss zum Bürgermeister und wieder zum Gangsterboss wird, präsentiert sich Matt Murdocks Entwicklung bestenfalls chaotisch. Und ja, in gewisser Weise unterstreicht das, dass er sich, wie er hier sagt, nach Foggys Tod selbst verloren hat.

Das kann man so hinnehmen, immerhin versucht man, eine Erklärung zu liefern, die in der Handlung begründet liegt. Schade ist das trotzdem, man merkt einfach, dass da wichtige Zwischenschritte der Schere zum Opfer gefallen sind. Schon dem Moment, als Matt Daredevil wieder in sein Leben lässt, fehlte die Gravitas, und in der Konsequenz wirkt auch die wichtige Entscheidung, sich nicht blindlings in den Kampf zu stürzen, sondern zuerst Mitstreiter zu rekrutieren, schwach.

Im Krieg und in der Liebe …

Auf der anderen Seite funktioniert vieles in „Straight to Hell“ auch unglaublich gut. Erinnert ihr euch, dass ich nach der ersten Folge schrieb, es wäre okay für mich, wenn Karen nicht zurückkehrt? Das möchte ich entschieden zurücknehmen, denn zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit finde ich die Figur wieder interessant. Nicht als Love Interest, sondern als Vertraute und Verbündete. Als sie Matt erklärt, dass sie ihn wahrhaftig kennt, die guten wie die schlechten Seiten? Wow, Gänsehaut. Das ist Liebe, die weit über Romantik hinausgeht.

Noch mehr hat mich eigentlich nur überrascht, wie toll ich Frank Castle fand. Es mag nicht geschadet haben, dass man ihn und Matt so ein bisschen als „odd couple“ inszeniert, das sich die ganze Zeit kabbelt. Aber auch jenseits dieser Beziehung fand ich den Punisher faszinierend, weil er so einen krassen Gegensatz zu Daredevil bildet und trotzdem beide auf derselben Seite stehen können. Komplizierte Charaktere sind sonst nicht gerade eine Stärke des MCU, insofern bin ich sehr begeistert, wohin sich das noch entwickelt.

Apropos, wir können festhalten, dass die Serie unter Disney keinerlei Abstriche bei den blutigen Gewaltausbrüchen machen musste. Wenn überhaupt, ist es sogar noch krasser geworden, oder wann habt ihr zuletzt in Nahaufnahme gesehen, wie jemandem der Schädel mit bloßen Händen regelrecht zerrissen wird? Einzig bei den Kämpfen darf man sich gerne noch steigern, denn dass die aktuell grundsätzlich im Dunkeln stattfinden, wird Daredevil wirklich nicht gerecht.

„I can’t see my city, but I can feel it. The system isn’t working. And it’s rotten. Corrupt. But this is our city. Not his. And we can take it back, together. The weak … the strong … all of us. Resist. Rebel. Rebuild. Because we are the city. Without fear.“

Schwächen bei Plot und Nebenfiguren

Wahrscheinlich merkt ihr, dass ich mich schwer tue, etwas zur Handlung der Folge zu schreiben. Ich finde auch nicht, dass sie sonderlich wichtig ist, weil sie nur als Vehikel dient und keiner genaueren Betrachtung standhält. Zumindest glaube ich nicht, dass in irgendeiner Stadt bei einem Stromausfall schon nach einer Stunde Anarchie ausbricht. Auch die Erklärung, wieso Vanessa Foggy töten wollte, ergibt in sich zwar Sinn, übertreibt aber maßlos, wie ein „free port“ funktioniert. Das fällt dann wohl unter Comic-Übertreibung.

Was die Charakterisierung von Nebenfiguren angeht, so bleibt diese durchwachsen. Heather zum Beispiel hätte eindeutig mehr Zeit gebraucht. Nicht, weil ihre Beziehung zu Matt so interessant gewesen wäre (äh, nein), sondern weil ihre Ernennung zur „Commissioner of Mental Health“ andeutet, dass sie noch eine größere Rolle spielen wird. Ihre Motivation bleibt indes völlig im Dunkeln; hält sie Fisk wirklich für den großen Retter oder schlägt sie sich nur aus Selbstschutz auf die Seite der vermeintlichen Gewinner?

Ein Neuanfang mit angezogener Handbremse

Also war „Daredevil: Born again“ nun ein gelungener Neustart? Ja und nein. Ich kann schwer beurteilen, ob man wirklich alle Nuancen mitbekommt, wenn man ohne jedes Vorwissen an die Serie herangeht. Selbst mir fehlte an manchen Stellen der Kontext, weil es einfach zu lange her ist, seit ich den Netflix-Vorgänger gesehen habe. Man hat definitiv mit Abkürzungen gearbeitet und manches einfach vorausgesetzt. Aber auch dieses Urteil ist mit Vorsicht zu genießen, weil wir nicht wissen, was und wie viel geschnitten wurde.

Auffallend ist, dass diese Inkarnation von „Daredevil“ viel stärker als Ensemble-Serie konzipiert ist. Das geht so weit, dass Matt Murdock zeitweise fast aus der Handlung zu fallen schien, um stattdessen Platz für die Fisk-Show zu machen. Das ist erst mal okay, aber wenn in der zweiten Staffel keine Verlagerung stattfindet, könnte die Serie ein Problem kriegen. Daredevil als Herz und Seele des Ganzen sollte auch im Zentrum stehen, außerdem war da für meinen Geschmack viel zu wenig katholische Selbstgeißelung.

Erwähnenswert ist, dass die Staffel in Josie’s Bar endet. Es ist eine Heimkehr, nachdem Matt zu Beginn der Serie nicht nur Daredevil, sondern auch Hell’s Kitchen hinter sich gelassen hatte, weil er sich die Schuld an Foggys Tod gab. Doch die Kanzlei, sein fancy Apartment (RIP), die Therapeutin-Freundin … das war alles nur Maskerade, der Wunschtraum eines normalen Lebens. Ich vermute, die nächste Staffel wird sich noch wesentlich stärker nach der alten Serie anfühlen, und ich bin so was von an Bord!

(PS: Könnte sein, dass ich beizeiten nun doch noch die ersten zwei Staffeln der Netflix-Serie reviewe.)

Straight to the Notes

• Eine Sache habe ich immer noch nicht verstanden: Wieso wollte Poindexter denn nun eigentlich Fisk töten?
• Klugscheißer-Alarm: Da Fingerknochen unter weniger Druck brechen als Schädelknochen, ist es physikalisch schlicht unmöglich, jemandes Kopf zu „zerquetschen“.
• Bin nicht ganz glücklich mit Matts „that is a good question“, als Frank ihn fragt, warum er Fisks Leben gerettet hat, auch wenn es nach einer überraschend ehrlichen Antwort klingt.
• Lieblingsmoment: Als Frank Kaffee anbietet und Matt fragt „got any oat milk?“ Garantiert der Aufhänger für eine Menge Fanfiction der versauten Art.
• Lieblingsmoment zwei: der mit dem Herzklopfen wegen Adrenalin. So sehr ich Dreiecksgeschichten auch verabscheue, eine mit Matt, Frank und Karen stelle ich mir lustig vor.

4 von 5 Bananen, die einen Kaffee brauchen.

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