ZSSD | Liebeshandlungen: Ist da etwa Liebe im Spiel?

“If I am unsure, it’s because it’s been a long time since I’ve wanted anyone in my life. I wasn’t expecting to find that here. Or you.“ (Cullen, Dragon Age Inquisition)

Der „Spieltrieb“ der Anfänge

Schon seit der relativen Frühphase der Videospielekultur Anfang der Achtzigerjahre reizt die Vorstellung, die rein virtuelle durch eine eher körperlich-emotional geprägte Ebene zu erweitern. Ausdruck verlieh dem beispielsweise der 1984 erschienene Film L.I.S.A. – Der helle Wahnsinn, in dem zwei landläufig als „Nerds“ bezeichnete Jungs sich mithilfe von Rechenpower und einer Barbiepuppe ihre eigene, mit eindeutigen sexuellen Reizen versehene Frau erschaffen. Nicht für eine ernsthafte Beziehung, sondern für den Kick, sie wie in einem Videospiel zu steuern und zu beherrschen – was natürlich am Ende nach hinten losgeht. Doch die Motivation scheint nahezuliegen, sich zumindest virtuell seine wildesten Träume zu erfüllen. All das zu erleben, das man sich im realen Leben nicht zutraut. Und das gilt eben nicht nur für heroische Geschichten waffenschwingender Superhelden, sondern auch für hemmungsloses Gebalze und pubertäre Eroberungsfantasien, die gerade durch die Interaktivität einen besonderen Reiz erhalten.

Mitte der Achtziger kam das erste Spiel der Leisure Suit Larry-Reihe auf den Markt, von der selbst ich als Kind schon die wildesten Gerüchte hörte. Im Grunde war es ein sehr einfaches Spiel mit dem Ziel, als etwas schmieriger Typ möglichst viele Frauen anzubaggern, um sie ins Bett zu bekommen. Damals etwas Unerhörtes, über das mehr hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde, als es dann schließlich überhaupt ablieferte – zumal man dank der Klötzchengrafik der damaligen Zeit sowieso mehr raten musste, was man da eigentlich sah.
Mit wirklicher Liebe oder dem realistischen Aufbau einer Beziehung hatte das natürlich nichts zu tun, auch wenn das dem kommerziellen Erfolg keinen Abbruch tat.

BioWare und die emotionale Beziehung

Machen wir einen „kleinen“ Sprung in die frühen 2000er, in die Zeit also, in der ich selbst anfing, mich für Videospiele zu interessieren – und dementsprechend aus eigener Erfahrung berichten kann.

Das Thema Beziehung und Liebe in Spielen ist für mich immer verbunden mit den Franchises des Entwicklers BioWare, namentlich Dragon Age und Mass Effect, die ich hier teilweise auch schon erwähnt habe. Beide Reihen drehen sich nicht primär um die Liebe und können absolviert werden, ohne eine Bindung zu einem anderen Charakter einzugehen, die über ein rein professionelles oder freundschaftliches Miteinander hinausgeht. Jedoch bieten die Spiele die Möglichkeit dazu in beinahe jeder Dialogoption. Wo es zunächst nur darum geht, Loyalitäten zu prüfen oder Kampfwillige hinter sich zu versammeln, wechseln die Gespräche schnell zu emotionalen Themen, wie Traumata aus der Kindheit, Ängste und Hoffnungen, und ja, auch der generellen Einstellung des Gegenübers zur Liebe. Dabei obliegt es meist dem Spieler, wie deutlich oder subtil er dabei vorgeht – und einige Charaktere reagieren sehr unterschiedlich darauf.
Im dritten Teil der Dragon Age-Reihe gibt es beispielsweise den Hauptmann der Truppen, Cullen, der sehr selbstbewusst auftritt, bis man ihn in vielen Gesprächen dazu bewegen kann, von seiner Drogensucht und alten Schuldgefühlen zu berichten. Und erst wenn er diese überwunden hat – nach weiteren Gesprächen und gemeinsamen Erlebnissen – hat er überhaupt den Kopf frei für die Avancen der Hauptfigur/des Spielers.
BioWare verpackt im meist sehr souveränen Ersteindruck seiner Figuren oft einen unter vielen Schichten verborgenen, verletzlichen Kern, was diese auch für den Spieler selbst besonders liebenswert macht – und eine Beziehung zu ihnen besonders erstrebenswert. Das langsame Herantasten an den eigentlich sehr zerbrechlichen Cullen und das fast verzweifelte Festhalten aneinander in der Ruhe kurz vor der Endschlacht, ist bis heute für mich eine der schönsten Liebesgeschichten in der Videospielindustrie. Und sie zeigt, wie weit sich Spiele teilweise entwickelt haben, sodass es in ihnen nicht mehr nur um plumpes Eroberungsgehabe dreht.
Vielleicht ist es nicht ganz fair, es rein auf die sich verändernde Zielgruppe zu schieben, da sich mehr und mehr Frauen für das Genre interessieren und die jugendlichen Zocker von damals inzwischen erwachsen sind und deutlich diverser auftreten. Vielleicht liegt es auch einfach am Zeitgeist, dass sich die Spielerschaft nicht mehr mit eindimensionalen Figuren und Motivationen abspeisen lassen möchte. Trotzdem begegnen die Entwickler ab und zu noch einer seltsam konservativen Grundhaltung ihrer Kundschaft.

Denn in Mass Effect wagte BioWare einen Tabubruch. 2007 erschienen, ließ es den Spieler in der Gestalt des menschlichen, optional weiblichen oder männlichen, Soldaten „Commander Shepard“ nicht nur mit anderen menschlichen Figuren anbandeln, sondern auch mit Aliens. Und nicht nur das, es war sogar möglich, eine homosexuelle Beziehung einzugehen, etwas, das damals eine große, allerdings nicht nur positive Resonanz auslöste. Einige konnten sich gar nicht entscheiden, was in ihren Augen verwerflicher war: Ein Partner mit blauer Haut, oder einer desselben Geschlechtes.
Zudem avancierten die BioWare-Spiele in den Augen vieler zur Ausgeburt des Bösen durch einen weiteren simplen Umstand: Neben homosexueller und nicht-menschlicher Liebe war es auch der sehr offene Umgang mit nackter Haut und die relativ klare Darstellung des Liebesaktes (ohne dabei auch nur in die Nähe expliziten Inhalts zu kommen), der die Fackel- und Mistgabelträger auf die Barrikaden rief.
Eigentlich unglaublich, was an menschlichen Grausamkeiten, Blut und Gemetzel in Spielen freimütig gezeigt wird, wohingegen lediglich unbekleidete menschliche Körper bei einigen immer noch als Tabu angesehen werden. Eine Heuchelei, die Filmfans auch nicht unbekannt sein sollte. (Wobei man aber fairerweise nicht unerwähnt lassen sollte, dass die lautesten Stimmen wie so oft denjenigen gehörten, die noch nicht einmal in ihrem Leben einen Controller in der Hand hatten.)

Der erwachsene Umgang mit Erwachsenensachen

Dass eine Beziehung nach tiefgehenden Gesprächen, kleinen Geschenken und Komplimenten nicht sofort züchtig am Altar endet, sondern sich auch in körperlicher Einigkeit äußert, zeigte indes nicht nur BioWare. Fernab vom prüden Amerika machten sich auch die polnischen Entwickler der Witcher-Trilogie, CD Projekt Red, einen Namen mit ihrem offenen, erwachsenen Umgang mit der Darstellung von Nacktheit und Sex.
Gut, im ersten Teil erhält die Hauptfigur Geralt mit seinen vielen kurzen körperlichen Intermezzos noch etwas kindische Sammelkarten, die Frauen in anzüglichen Posen zeigen, doch schon in Teil Zwei treten die Frauen bereits selbstbewusst nackt auf, mit einer Beiläufigkeit, als sei das tatsächlich doch das Natürlichste der Welt. Auch die Beziehungen, die Geralt eingehen kann – oder eben nicht, ganz nach Wunsch des Spielers – sind realistischerweise nie ganz problemfrei, zumal der Witcher und auch seine Beziehungspartnerinnen voll berufstätig sind und daher eigentlich nur selten Zeit für Liebesdinge haben.

Eine gute gemachte, vernünftige Darstellung von neu erwachender Liebe bis hin zur Körperlichkeit ist immer noch relativ selten in Spielen – ganz besonders, wenn man sie mit Zurschaustellungen von Gewalt vergleicht. Doch wo sie vorkommt, ist reines „Anbaggern und Abschleppen“ oft keine Option mehr – es sei denn, um sie bewusst zu übertreiben und damit ins Lächerliche zu ziehen. Es wird mehr und mehr auf Einfühlsamkeit Wert gelegt; der Spieler muss Zeit und Mühe investieren, damit das Objekt seiner Begierde sich ihm langsam öffnet. In Rollenspielen, in denen der Aufbau einer Beziehung Teil des Spielprinzips ist, wird zudem immer mehr auf Diversität geachtet – wenn auch in kleineren Schritten als es beispielsweise gerade in der Film- und Serienindustrie der Fall ist. Einstige Aufreger wie die die Möglichkeit, sich als Mann in einen Mann oder in eine völlig andere Spezies zu verlieben, sind heute fest etabliert und sorgen eher dann für Aufruhr, wenn sie ausgelassen werden.

Das Gute an Videospielen ist doch die Wahl, die einem zumindest in einigen Spielegenres gegeben wird. Wie man aussieht, in wen man sich verliebt, und ob die Beziehung hält oder zerbricht, das sollte idealerweise den Wünschen und Fähigkeiten des Spielers überlassen sein. Je mehr man investiert, sich Gedanken macht und seine Worte wählt, desto lohnender ist die sich anbahnende Gefühlswelt zwischen den Figuren. Nur dann entwickelt man eine maximale emotionale Bindung zu seinem Charakter und den anderen, die seinen Weg kreuzen und die gemeinsame Geschichte zu etwas ganz besonders intensiv Erlebtem machen.