Utopie und Wirklichkeit | Gewalt in Science-Fiction

Eine kunstvoll in Szene gesetzte Schießerei gehört heute in jeden Science-Fiction-Film, der was auf sich hält. Der Verzicht führt fast unweigerlich zum Einnicken der Zuschauer und schließlich zum Scheitern an der Kinokasse. Warum eigentlich?

Es ist schon eine Weile her, da schrieb ich einmal, dass Feinde heutzutage bei Science-Fiction die wichtigste Zutat sind. Filme, in denen es nur um das Erforschen fremder Kulturen und Welten geht, gibt es nicht mehr, und falls doch, so wissen wir zumindest nichts davon, weil sie gar nicht erst den Weg ins Kino schaffen. Während Serien außerhalb des phantastischen Genres ganz gut damit fahren, sich mit ungewollten Schwangerschaften, nachbarschaftlichen Intrigen und dem Erwachsenwerden auseinanderzusetzen, haben Autoren von Serien im Science-Fiction-Bereich einen Graus davor, da erfinden sie lieber ein paar unbesiegbare Feinde und drehen eine komplette Staffel über den Krieg gegen sie. Und was geradezu absurd daran ist, bei „Star Trek“ und Kollegen hatte ich selten den Eindruck, der Krieg sei etwas Schlimmes. Tödlich, vielleicht, aber nicht wirklich schlimm.

Gene Roddenberry hatte einmal die Vision einer friedlichen Zukunft, in der alle Völker in Eintracht miteinander leben und voneinander lernen. So utopisch diese Vorstellung war, sie war revolutionär, denn Science-Fiction der Nachkriegszeit war von Fremdenhass und Angst geprägt. Die Aliens waren immer böse, wollten die Weltherrschaft übernehmen und die Menschheit ausrotten. Captain Kirk aber durfte zu fremden Planeten fliegen und Land und Leute kennenlernen. Freilich blieb auch das nicht immer frei von Konflikten, doch im Notfall riss sich der gute Mann einfach seine Uniform vom Körper, zückte seinen Phaser und nietete den Feind mal eben um. Sauber. So blieb es sehr lange. Der Zuschauer wurde an der Nase herumgeführt, denn es starben zwar überdurchschnittlich viele Aliens und auch mindestens ein Redshirt pro Folge, aber der saubere Laserschuss, der so ein lustiges Geräusch macht, bevor sich der Getroffene einfach in Luft auflöst, der gaukelte uns vor, dass eigentlich alles nur halb so schlimm ist.

Vielleicht lag das an der Zeit. Auch „Star Wars“ zeichnete sich ja durch eine bemerkenswerte Naivität aus. Klar, es ging um einen galaktischen Krieg, aber Prinzessinnen liefen in schneeweißen Kleidern rum, Bauernjungen folgten ihrer Bestimmung, und der Bösewicht fiel schon durch sein fieses Asthma auf. Die Guten und Bösen waren messerscharf voneinander getrennt, und wenn Darth Vader einen armen Techniker erdrosselte, durfte man gerne sauer sein und ihn hassen. Dass Han Solo und Luke Skywalker derweil etliche Sturmtruppler erschossen … wen kümmert’s? Nicht umsonst haben die Jedi-Ritter Lichtschwerter statt gewöhnlicher Klingen: Das reine Licht täuscht über die Brutalität der Waffe hinweg, was allein die Szene in der Cantina beweist, in der Obi-Wan Kenobi mal schnell einem Alien den Arm abschlägt. Das wirkt irgendwie blutarm, steril, ja harmlos.

In den Neunzigern änderte sich das Image der Science-Fiction radikal, nach friedlichen, wenn auch unheimlichen Begegnungen der dritten Art und einem Knuddelbär, der nach Hause telefonieren wollte, durften die Aliens auch wieder böse sein. Und diese Entwicklung lässt sich nirgendwo besser beobachten als bei „Star Trek“, weil diese Serien über Jahrzehnte hinweg den Zeitgeist einfingen. Schon unter Captain Picard wurde Gewalt wieder so dargestellt, wie sie wirklich ist, nämlich schlecht für die Gesundheit, doch das wohl drastischste Beispiel ist „Deep Space Nine“. Nicht umsonst spaltete sich die Fangemeinde an gerade diesem Serienableger, viele sahen Gene Roddenberrys Vision vom friedlichen Zusammenleben der Spezies mit Füßen getreten und wandten sich empört ab.

Aber war das tatsächlich der Fall? War die Idee der guten Science-Fiction gescheitert? Möglicherweise, aber die Menschen sind auch nicht mehr so naiv wie in den Sechzigern, sie merken es, wenn man sie nicht ernst nimmt, und ein „Star Trek“ wie damals wäre heute nicht mehr vermarktbar. Nicht, weil die Menschen blutrünstiger geworden wären oder gewaltgeiler, sondern, weil sie nach einer differenzierten Herangehensweise an das Thema verlangen. „Deep Space Nine“ tat genau das und traf deshalb auch den Geist vieler Fans, die sich nicht an Roddenberrys Vermächtnis klammerten, als seien es die Zehn Gebote. Episoden wie „Das Schiff“ und „Die Schlacht um Ajilon Prime“, die Krieg als unheilvolles Gemetzel zeigten, bei dem der Tod nicht augenblicklich eintritt, sondern oft erst nach Stunden voller Leiden, sind so grausam, so erschreckend realistisch, dass man von selber versteht, dass Krieg keine schöne Sache ist. Anders als unter Kirk dürfen wir uns diese Meinung aber selbst bilden.

Wo muss nun eine Serie wie „Battlestar Galactica“ einsortiert werden? Obwohl die Neuauflage der eher lachhaften Filmreihe aus den Achtzigern über Jahre sehr erfolgreich war und eine große Fangemeinde um sich versammeln konnte, hält sich bis heute das Vorurteil, dass es sich um eine gewalttätige, ja kriegsverherrlichende Serie handelt. In der Tradition von „Deep Space Nine“ hat sich gewiss eine schonungslosere Darstellungsweise etabliert, das ist nicht von der Hand zu weisen und auch in vielen anderen Genre-Produktionen zu beobachten. Und es ist auch nicht abzustreiten, dass die große Rahmenhandlung von einem erbitterten Krieg handelt und es immer wieder darum ging, dem Gegner möglichst große Verluste beizubringen. Aber „Battlestar Galactica“ war stets mehr als das, es wurden Geschichten von Menschen erzählt, die in diesem Krieg gefangen sind und keine Alternative haben, die für ein Leben danach kämpfen. Ganz erstaunlich fand ich immer wieder, wie sensibel mit Themen wie Verzweiflung bis hin zum Selbstmord umgegangen wurde, und nicht umsonst spielte eine Tafel mit der aktuellen Zahl der Überlebenden eine zentrale Rolle in der Serie.

Ich bin kein Freund von Gewaltdarstellungen, das gestehe ich offen ein. Ich würde ruhige Filme wie „Solaris“ oder „Moon“, die sich mehr auf die psychologische Komponente des Raumflugs konzentrieren, jederzeit einem Actionspektakel vorziehen. Es kann ja nicht Sinn und Zweck von Science-Fiction sein, möglichst viele Schießereien und Kung-Fu-Kämpfe in neunzig Minuten unterzubringen. (Auch wenn gelegentliche Explosionen in der Tat helfen, das Publikum am Einschlafen zu hindern.) Aber ich war Fan von „Deep Space Nine“ und das nicht zuletzt wegen des Krieges gegen das Dominion, und ich zähle auch „Battlestar Galactica“ zu den Sternstunden des Genres. Ich würde also niemals so weit gehen, Gewalt in Science-Fiction zu verteufeln, letzten Endes muss jeder selbst sehen, wo sein Geschmack am besten bedient wird. Um der Aussage Willen mag eine gute Portion Realismus ganz nützlich sein, aber ist es nicht auch ab und zu mal wieder schön, weiß gewandete Prinzessinnen zu beobachten, die sich von zwei porentief reinen Helden retten lassen?