Schreibstube | KW12

“Ist alles in Ordnung? Du bist so still.”
“Ich denke gerade über Giftmord nach.”

Wir Autoren sind seltsame Zeitgenossen. Wir können ein ganzes Wochenende damit verbringen, Krankheiten zu recherchieren, die früher als Vampirismus missgedeutet wurden, haben zwei Dutzend Lesezeichen im Browser zu Seiten über Psychologie, die Bedeutung von Namen und die Charakteristika einzelner Sternzeichen, und manchmal starren wir auch einfach Löcher in die Luft, während wir im Kopfkino gerade eine dramatische Szene durchspielen.

Neben vielen anderen Eigenschaften, die einen guten Autoren ausmachen, halte ich Aufmerksamkeit für essentiell. Auch wenn das jetzt ein bisschen irre klingt, aber viele Stationen meines Lebens erlebe ich wie in der dritten Person, als Beobachter, der sich wichtige Dinge herauspickt, um sie später zu verwenden. (Im Grunde sind wir Autoren sowieso alle Exhibitionisten, die völlig Fremden ihre tiefsten Gefühle vor die Füße kotzen.) Aber auch viele Erlebnisse des Alltags nehme ich intensiver wahr als andere. Ich weiß, wie die Luft riecht, kurz bevor es zu regnen anfängt, ich kenne das Geräusch eines heftigen Windstoßes und das Gefühl eines Kiesels, den ich vor mir her kicke. Im Zweifelsfall könnte ich all das auch irgendwie in Worte fassen. Und wenn ich jeden Morgen ein Eichhörnchen über die Straße hüpfen sehe, bis es eines Morgens tot am Straßenrand liegt, dann brennt sich mir das ins Gedächtnis, während andere nur mit den Achseln zucken und weitergehen.

Dennoch muss ich mit einem Vorurteil aufräumen, das immer noch viele meiner Freunde umtreibt. Es mag sein, dass einzelne Elemente von dem, was sie mir erzählen oder was ich mit ihnen zusammen erlebe, in eine meiner Geschichten einfließt, doch es wird niemals eins zu eins sein. Ich habe kein geheimes Notizbuch, in das ich Dinge hineinschreibe, die andere mir erzählen. Wenn überhaupt, dann notiere ich unnützes Wissen, einzelne Wörter, die mich inspirieren, vielleicht mal einen kurzen Dialog. Eigentlich finde ich diese Angst sogar ziemlich amüsant, denn wir Autoren sind viel zu sehr Narzissten, um über etwas anderes schreiben zu wollen als über uns selbst.