Netflix hat fertig, oder: Die Evolution des Serien-Nomaden

Lange wurde darüber spekuliert, jetzt macht Netflix Nägel mit Köpfen: Wer sein Passwort mit anderen außerhalb des eigenen Haushalts teilt, muss künftig extra zahlen. Genau genommen soll ab jetzt jedes zusätzliche Profil 4,99 Euro kosten – unabhängig davon, welches Abo man hat (das bestimmt lediglich die Anzahl der möglichen Extraprofile). Nie war offensichtlicher, wie sehr der Streamingdienst seine eigene Bedeutung überschätzt.

Alles begann mit einer unflexiblen Preisgestaltung

Ja, ich gestehe: Ich habe das Abonnement meiner Eltern mitbenutzt. Sie haben sich vor einigen Jahren einen UHD-Fernseher zugelegt und sich deshalb für einen Premium-Zugang entschieden. Kein normaler Haushalt benötigt vier gleichzeitige Streams, diese Verknüpfung von Masse mit Klasse war seit jeher skurril, denn keines der kleineren Abos bietet eine UHD-Option. Dass ich mich an dieses Abo dranhänge, schien uns bei einem Preis von 17,99 Euro immer angemessen, ja fast schon vonseiten Netflix eingepreist.
Das mögen viele anders sehen, doch meiner Meinung nach hätte der Dienst viele seiner aktuellen Probleme nicht, wäre die Preisgestaltung zeitgemäßer. Es ergibt doch absolut keinen Sinn, dass das Abo mit Werbung eine bessere Auflösung hat als das Basis-Abo ohne Werbung. Und auf das Premium-Abo noch fünf Euro oben drauf zu verlangen, empfinde ich einfach als dreist. Vor allem aber zeugt dieses Gebaren von einer Selbstüberschätzung, die angesichts der Marktlage nicht mehr realistisch ist.
Netflix war der erste nennenswerte Streamingdienst, der Wegbereiter, mithin das Äquivalent von Streaming. Für sehr lange Zeit war Netflix dadurch der „Standard“, den man einfach immer hatte, während man andere Dienste nur sporadisch dazu buchte. Im Grunde überlebte sich diese Einstellung schon mit den ständig steigenden Preisen, doch spätestens, seit massig Konkurrenz auf den Markt drängt, dürfte die Rechnung für viele nicht mehr aufgehen.

Das Publikum wird wählerischer – und sparsamer

Entschuldigt an dieser Stelle meinen Pathos, aber dieser Schritt von Netflix könnte tatsächlich einen Wendepunkt im Streaming darstellen. Nicht nur, dass die Piraterie wieder zunehmen wird, es dürfte vor allem das Ende des unhinterfragten Laufenlassen des Vertrages bedeuten. Netflix hat in den letzten Jahren viele wichtige Titel an andere Streamer verloren, die Eigenproduktionen werden immer woker und belehrender, und gefühlt neunzig Prozent der Serien werden nach der ersten Staffel ohnehin abgesetzt. Kurz, das Programm wird zunehmend unattraktiver, und der nun steigende Preis wirkt wie ein Scheinwerfer, der das vielen erst so richtig bewusst macht.
In letzter Konsequenz hat mich das dazu bewogen, meine Nutzung von Streamingdiensten insgesamt zu hinterfragen. Sicher, um diesen Blog in gewohnter Form fortführen zu können, bin ich darauf angewiesen, sie zu nutzen. Aber ich werde es künftig gezielter tun. Für mich war bislang Amazon Prime der Dienst, den ich gegen alle Vernunft dauerhaft bezog. Höre ich damit auf, eröffnet mir das finanziell die Möglichkeit, mehr andere Streamer auszuprobieren und mir gewissermaßen die Rosinen herauszupicken.

Welche Strategien werden die Dienste entwickeln?

Wem will ich was vormachen, ich habe auch bisher schon Listen mit Serien geführt, die mich interessieren. Inzwischen ist aus der Liste aber eine Excel-Tabelle geworden, die um weitere Dienste ergänzt wurde, die ich je nach Angebot mal ausprobieren möchte. (Allen voran Apple TV+ mit seinen vielen, vielen hochgelobten Science-Fiction-Serien.) Die Idee dahinter ist, den jeweiligen Anbieter immer dann für zwei bis drei Monate zu abonnieren, sobald die entsprechende Liste lang genug geworden ist.
Natürlich werden jetzt nicht alle anfangen, elaborierte Listen zu schreiben, aber ich denke, insgesamt ist das die Entwicklung, die das Streaminggeschäft auf lange Sicht nehmen muss. Es wird sich eine Art Nomadentum etablieren, mit dem sich die Zuschauer ihr persönliches Programm zusammenstellen. Die Praxis, Serienfolgen wöchentlich auszustrahlen, wird im Zuge dessen mit Sicherheit noch mal zunehmen, weil den Anbietern natürlich daran gelegen ist, zahlende Kunden über einen möglichst langen Zeitraum zu halten. Ob Aktualität allein aber wirklich ausreicht oder ob die Leute am Ende einfach warten, bis alle Folgen verfügbar sind, wird sich noch zeigen.
(This just in: In Kanada testet Netflix inzwischen schon die nächste Verschlimmbesserung. Da gibt es das Basis-Abo nun gar nicht mehr, man muss also auf das teurere Standard-Abo ausweichen, wenn man keine Werbung haben will.)