ZSSD | Review: Hellblade – Wer bin ich und wenn ja, wie viele?

The hardest battles are fought in the mind.

Hellblade, Ninja Theory, 2017

Worum geht es?

Die Geschichte von Senua ist schnell erzählt: Aufgewachsen in dem keltischen Stamm der Pikten, war Senua schon immer anders. Ihre Fähigkeiten, Stimmen zu hören und in scheinbar alltäglichen Dingen mystische Formen und Farben wahrzunehmen, machen sie zu einer gefürchteten, weil offenbar von den Göttern verfluchten Ausgestoßenen, und selbst ihr Vater schließt sie meistens zuhause ein, um sie von der Stammesgesellschaft zu isolieren.
Auf ihren einsamen Streifzügen durch das Umland begegnet sie Dillion, einem fröhlichen, offenen Krieger, der sie nicht fürchtet, sondern ihre Fähigkeiten als Gabe wertschätzt. Durch ihn lernt sie zum ersten Mal so etwas wie Selbstachtung, sie verlieben sich ineinander.
Dennoch, als eine seltsame Krankheit im Stamm ausbricht, nimmt sie die Verantwortung als „Verfluchte“ auf sich und bricht in die Wälder auf, um dort in Einsamkeit und Entbehrung ihren Fluch zu besiegen und ihren Stamm zu erlösen.
Doch bei ihrer Rückkehr findet sie ihr Dorf zerstört vor, von Nordmännern überfallen, die Bewohner gemeuchelt – und ihren Geliebten Dillion in einem grotesken Hinrichtungsritual zwischen zwei Bäumen aufgehängt. Beim Anblick seiner blutüberströmten Leiche bricht sich ihre Gabe Bahn, die mühsam unterdrückten Stimmen kehren zurück und überwältigen sie.
Völlig von ihnen beherrscht, hat sie von nun an nur noch ein Ziel: Mit Dillions Kopf in der Tasche wandert sie davon, um auf dem Weg in die Hölle seine Seele zu befreien.

Wie ist es?

Das Besondere an Hellblade ist das Spielprinzip. Es gibt keine Hilfen, kein Lebensbalken zeigt Senuas Zustand oder den ihrer Gegner an. Als Zeichen dafür, dass sie sich immer mehr selbst verliert, fängt ihr Arm an, zu verrotten, erst nur die Hand, doch jedes Mal, wenn sie im Spiel stirbt, wandert die Fäulnis weiter ihren Arm hinauf. Der Spieler bekommt zu Anfang mitgeteilt: Wenn sie ihr Gesicht erreicht, ist das Spiel zu Ende und muss ganz von vorne begonnen werden. Alle Spielstände werden gelöscht. Es steht also tatsächlich sehr viel auf dem Spiel, und das treibt das Adrenalin in ganz andere Höhen, als wenn man vor jedem Kampf bequem speichern kann und daher nie viel verliert.

Darüber hinaus bricht Hellblade auch mit anderen Konventionen. So bekommt man im Kampf gegen Senuas eingebildete Gegner, alptraumhafte Monster mit Geweihen und Klauen, keine Hilfen an die Hand, nur ihre Stimmen. Eine Kakophonie aus männlichen und weiblichen Stimmen, die ihr ununterbrochen zuflüstern, woher der nächste Angriff kommt. Hat Senua im Kampf die Oberhand, ermutigen sie sie, es wäre bald geschafft. Wird sie getroffen, spotten sie und lachen sie aus. Sie bilden einen ständigen, flüsternden Klangteppich aus hoffnungslosem Schluchzen, bitterem Hohn, guten Ratschlägen und rhetorischen Fragen, der sich immer verändert, je nachdem, welchen Weg Senua einschlägt.

Das Erleben einer Psychose

Ninja Theory gründet dieses Spiel auf die Erfahrungsberichte von Psychosepatienten, und zu diesem Zweck hat das Studio sie direkt als Berater und Betatester eingebunden. Ihre Krankheit, das Wahrnehmen von Stimmen, Farben und Formen, soll so echt wie möglich dargestellt werden. Dazu holte man zudem unter anderem den Rat von Experten der Cambridge University ein und besuchte Betroffene in Rehazentren. Hellblade sollte so nah an der Psychose und der Schizophrenie seiner Hauptfigur sein, wie irgend möglich. Herausgekommen ist ein besonderes Spiel, eines, das an ganz andere Sinne appelliert als die meisten anderen. Wenn man es, wie empfohlen, mit Kopfhörern spielt, hat man Senuas Stimmen im eigenen Kopf, ihre alptraumhaften Bilder vor Augen. Näher kann man ihrer „Gabe“ schwerlich kommen.
Das Spiel ist sicher nichts für unbeschwerte Abende, denn es beeindruckt und verstört auf einer besonderen Ebene. Die Szenen sind dunkel, teilweise vollständig, sodass man nur die Stimmen und Geräusche zur Hilfe hat, um sich voranzutasten. Dazwischen dominieren Darstellungen von einsamen Wäldern, Stränden, Ruinen von Festungen, alles durchsetzt von keltischer Mythologie und einer Farbwelt zwischen Eisblau und Aschegrau.
Gleichzeitig ermutigt es, denn Senua findet durch den Nebel all dieser Empfindungen ihren Weg und ihre Selbstachtung. Die Liebe zu Dillion und der unbändige Wunsch, seine Seele zu befreien, treibt sie voran, doch am Ende auch das Bedürfnis, sich von den Vorurteilen, Vorwürfen und Repressalien der Gesellschaft, allen voran ihres eigenen Vaters, zu befreien.
Die Stimmen und Bilder in ihrem Kopf sind real, für sie, und sie erkennt, dass das die einzige Wahrheit ist, die zählt.