Bücherstapel | Kris Brynn „The Shelter – Zukunft ohne Hoffnung“

Den infizierten Rest verfrachtete man an einen Ort, dem man den Namen Habitat Miseria gab: ein Bezirk enormen Ausmaßes, in dem gelitten und gestorben wurde. Ein Bezirk, aus dem es normalerweise kein Entrinnen gab. Statt Internierung nannte man es „Umsiedlung“.

Vom Regen in die Traufe

Eine tödliche Seuche hat die Bevölkerung Großbritanniens stark reduziert. Wer es sich leisten kann, lebt geschützt im inneren Zirkel von London. Für die Infizierten wurde außerhalb der Stadt eine riesige Kuppel errichtet, in die sie zum Sterben geschickt werden. Doch das Habitat Miseria ist nicht, was es zu sein scheint. Das merkt auch Rick, als er durch einen vermeintlichen Systemfehler als Infizierter in die Kuppel verfrachtet wird. In Wirklichkeit haben die Bewohner Miserias längst ein Heilmittel gefunden und eine utopische Gemeinschaft unter der Führung von Prospero aufgebaut. Das Paradies hat allerdings einen Haken: Prospero erweist sich als Diktator, der die Bewohner ausspioniert und jeden Abweichler von seinen Androiden aus dem Weg räumen lässt.
Für diesen Rat waren eigenständig Denkende wie Grünauge ein Störfaktor. Dieser Rat duldete keine Querdenker, keine eigene Meinung, keinen Tee. Der „Kult des Einzelnen“, ein Begriff, den Prospero in einer seiner Reden verwendet hatte, muss der Einheit weichen. Das Gemeinderecht war nur der Deckmantel für ein diktatorisches Regime.

Starke Idee, aber schwache Ausführung

Die von der deutschen (unter Pseudonym schreibenden) Autorin Kris Brynn veröffentlichte Dystopie „The Shelter“ ist vor allem eines: eine verpasste Chance. Auch wenn man es angesichts der Thematik kaum glauben mag, erschien das Buch bereits zwei Jahre vor Ausbruch der Covid-Pandemie. Dennoch greift es erschreckend zielsicher einzelne Aspekte heraus, die später so oder ähnlich wahr wurden, und treibt sie lediglich auf die Spitze. In gewisser Weise profitiert das Werk davon, weil uns das alles nun sehr viel näher ist und über handwerkliche Schwächen vielleicht großzügiger hinwegsehen lässt.
Das größte Problem ist dabei keineswegs der Plot als solcher, der ist streckenweise sehr originell. Da ist die Seuche, die man nicht unter Kontrolle bekommt. Da ist eine hilflose Regierung, die sich in Aktionismus ergeht und einen unwirksamen Impfstoff zur Pflicht macht. Und da ist die Radikallösung eines Lagers für Infizierte, die nur anhand von Vitalwerten, nicht durch Symptome identifiziert werden. Die Art und Weise, wie all das scheinbar alternativlos aufeinander aufbaut und ein System schafft, aus dem schließlich ein faktisch von der Pharmaindustrie geleiteter Überwachungsstaat hervorgeht, ist ungeheuer bedrückend. Wie schon gesagt, es ist überspitzt, doch die Ideen sind allesamt bekannt und wurden in den vergangenen drei Jahren auch mehr oder weniger offen diskutiert.
Leider lässt uns die Autorin durchweg zu wenig Zeit, um uns mit dieser Welt und ihren Regeln vertraut zu machen. Knackige 326 Seiten versprechen zwar ein hohes Tempo, doch das geht nur auf Kosten von Worldbuilding und Charakterzeichnung. Wenn uns am Anfang berichtet wird, wie die Seuche das Leben der Menschen veränderte, ist das fast wie ein Referat, in dem wir zwar jede Menge Informationen erhalten, aber wenig fühlen.
Unser Held Rick schafft anschließend gerade mal einen Arbeitstag in seinem neuen Job, bevor er nach Miseria verschleppt wird. Dann verlebt er gefühlt zwei Tage im Habitat, wo allerlei neue Eindrücke auf ihn einprasseln und keine seiner Fragen beantwortet wird, bis er merkt, dass was faul ist. Und dann ist er plötzlich auf der Flucht, die übrigens einen viel zu großen Teil des letzten Drittels einnimmt, bevor das Buch auch schon sinngemäß mit den Worten endet: Jetzt können wir uns daran machen, die Welt zu retten. Der Stoff hätte problemlos für ein dreimal so dickes Buch gereicht.
Insgesamt ist „The Shelter“ ein solider Roman, der aber vor allem durch seine Ideen überzeugt. Der sprachliche Stil ist nicht weiter bemerkenswert und an einigen Stellen eher holprig, vor allem aber fehlt die Zeit, um die Figuren kennenzulernen oder sich in ihre Situation einzufühlen. Beziehungen scheinen einfach irgendwie zu passieren, und insbesondere die Androiden bleiben derart austauschbar, dass ich bis zum Schluss nicht sicher sagen konnte, wer zu den Guten zählt und wer nicht. Letztendlich viel vergeudetes Potenzial.
2 ½ von 5 nicht infizierten Bananen.