Nachtappell | Ist das selbstgenäht?

„Done is better than perfect.“
(Sheryl Sandberg)

Letztens stolperte ich über das Video „I don’t care that my clothes look handmade, and why you shouldn’t either“. Ich hege den Verdacht, dass YouTube mir das nur vorgeschlagen hat, weil ich ein paar Tage zuvor ein anderes Video geschaut hatte, in dem mir erklärt wurde, was ich tun muss, damit meine selbstgenähte Kleidung nicht selbstgenäht aussieht. Ein Video übrigens, das mich so sehr gestresst hat, dass ich es hier explizit nicht verlinke.

Aber es brachte mich ins Grübeln. Warum sollte ich nicht wollen, dass man sieht, dass ich selbstgenähte Mode trage? Und will irgendjemand ernsthaft behaupten, dass industriell gefertigte Kleidung besser ist? Selbst wenn euch das Thema nicht interessieren sollte, lasst mich euch wenigstens das bisschen Weisheit mit auf den Weg geben, das ich in knapp drei Jahren Nähpraxis erlangt habe: Gute Qualität erkennt man daran, wie wenig Nähte ein Kleidungsstück aufweist und trotzdem nicht kaputt geht.

Die Wahrheit ist, wie vermutlich die meisten Menschen hatte ich, bevor ich mit dem Nähen begann, keine Ahnung von Kleidung. Berufsbedingt kannte ich ein paar Schnitte beim Namen, aber wie zum Beispiel ein T-Shirt tatsächlich konstruiert wird, lernte ich erst, als ich ein paar Wochenenden damit verbrachte, über einem Ausschnittbündchen zu verzweifeln. Das mit dem Verzweifeln ist mit der Erfahrung auch nicht weniger geworden, es findet inzwischen nur auf einem höheren Niveau statt.

Um jedoch zur eigentlichen Frage zurückzukehren: Wieso sollte es mich stören, wenn die Leute sehen, dass meine Kleidung selbstgenäht ist? Ganz abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass das überhaupt jemandes erster Gedanke ist, wenn es nicht gänzlich krumm und schief ist. Siehe oben, wer nicht selber näht, sieht gewisse Details gar nicht. Es sieht wie ein T-Shirt aus? Dann muss es wohl ein T-Shirt sein. Allenfalls kommt noch die Frage, wo ich es denn gekauft habe.

Also nein, es stört mich nicht. Im Gegenteil, ich bin stolz darauf, weil ich weiß, dass mein Kleidungsstück besser verarbeitet ist als eines von H&M und Co., bei dem selbst drei Nähte nicht verhindern können, dass es sich nach der ersten Wäsche verzieht und nach weiteren drei auseinanderfällt. Außerdem, nichts stärkt die emotionale Bindung an ein T-Shirt mehr als das Wissen, wie viele Stunden man damit verbracht hat, das Ausschnittbündchen richtig anzunähen.