There’s no Tragedy in that | Third Star

Fragt man einen normalen Menschen, so geht man ins Kino, um ein Abenteuer zu erleben, zu staunen, zu lachen, sich zu amüsieren oder zu gruseln. Keiner käme auf die Idee, viel Geld dafür zu bezahlen, sich mies zu fühlen.

Die Existenz von Dramen zu erklären, ist folglich ein Ding der Unmöglichkeit. Da leidet man zwei Stunden lang mit den Figuren, heult sich am Ende die Augen aus dem Kopf, und geht dann nach Hause und ist deprimiert? Es steckt keine Logik dahinter, denn in aller Regel fühlen wir uns nach Dramen gerade nicht mies, sondern irgendwie … leicht. Vielleicht ist das eine Abwehrreaktion, nach dem Prinzip, zum Glück war ich es nicht, der all das durchleiden musste. Vielleicht merken wir auch, dass wir unser eigenes Leben manchmal zu selbstverständlich nehmen und nicht genießen. Oder wir leiden insgeheim eben doch zu gerne. Im Falle von „Third Star“ ist es wohl eine Kombination aus allem.

Wir erleben die letzten Tage von James, 29 Jahre alt, Krebs im Endstadium. Ein allerletztes Mal möchte er mit seinen drei besten Freunden Davy, Bill und Miles an den Strand von Barafundle Bay fahren, wo sie so viel Zeit gemeinsam verbracht haben. Der Ausflug gestaltet sich nicht gerade einfach, denn James kann aufgrund seiner Schmerzen nur kurze Strecken laufen, was spätestens dann zum Problem wird, als sie durch einen dummen Zwischenfall ihren Handwagen verlieren. Allein mit sich und den vielen unausgesprochenen Konflikten, kommt es immer öfter zu Streitereien, bis sie alle dermaßen genug voneinander haben, dass sie am liebsten umkehren würden. Doch James hat ihnen den wahren Grund des Trips noch gar nicht eröffnet, denn während Davy, Miles und Bill glauben, dass es ihm einfach nur darum geht, etwas Zeit mit Freunden zu verbringen, hat James längst beschlossen, seinem Leben an diesem Ort voller Erinnerungen ein Ende zu setzen. Es ist die härteste Probe für ihre Freundschaft.

Dramen über Menschen, die eine tödliche Krankheit haben und noch mal was Schönes erleben wollen, sind grundsätzlich eine Gratwanderung. Meistens sind sie übermäßig kitschig, ärgerlich und deprimierend, also genau die Art von Drama, um die ich einen weiten Bogen mache. Doch niemand, der meine Fernsehaktivitäten verfolgt, wird sich wundern, dass ich ausgerechnet „Third Star“ trotzdem eine Chance gegeben habe, ich wähle Filme zwar selten nach den Darstellern aus, doch wenn, dann wenigstens gezielt. Letzten Endes war es der Trailer, der mich zumindest vermuten ließ, dass es sich hierbei nicht um das typische Betroffenheitskino handelt. Tatsächlich wäre ich sogar vorsichtig, „Third Star“ überhaupt als Drama zu bezeichnen, über weite Strecken ist der Film richtig komisch, ein Roadmovie mit Hindernissen, ein Film über Freundschaft und ihre Grenzen. Das Drama der Geschichte wird nur subtil thematisiert, oftmals gar nicht direkt angesprochen, sondern James‘ Mimik gleichsam als Spiegel genutzt. Und so ist vieles zwar vorhersehbar, doch vor allem deshalb bewegend, weil man die Figuren in den anderthalb Stunden sehr gut kennenlernt, auch mit ihren Fehlern. Zudem beschäftigt sich der Film mit essentiellen Fragen des Erwachsenwerdens, zum Beispiel, wann man endlich Verantwortung für sein Leben übernehmen muss, oder wann Träume endgültig zu Luftschlössern werden.

„Third Star“ ist ein klassischer Independentfilm, dessen gesamtes Budget am Ende auch auf der Leinwand zu sehen ist. Bei der Kameraführung wurde viel experimentiert, vor allem mit Unschärfe und Nahaufnahmen, um die Gefühle der Figuren direkter einzufangen. Und man merkt der Besetzung an, dass ihnen der Film am Herzen lag, denn insbesondere die Beziehung der vier Freunde wirkt sehr unmittelbar und echt, was sich in den lebendigen Dialogen am stärksten zeigt. Selbstverständlich ist Benedict Cumberbatchs Leistung besonders hervorzuheben, weil er James‘ fragilen körperlichen, aber auch seelischen Zustand ohne Pathos sichtbar macht. Gerade bei ihm, der über die Jahre in so unterschiedlichen Filmen aufgetreten ist, hat man nie das Gefühl, einem Schauspieler dabei zuzusehen, wie er nur eine Rolle spielt. Doch auch JJ Feild, der mit Miles gewissermaßen den Gegenpol darstellt, überzeugt auf ganzer Linie. Er, der eigentlich gar nicht mitkommen wollte, weil ihn allein schon die Vorstellung von James‘ Krankheit anekelt, der ganz offen den Streit sucht und schließlich doch bis zum bitteren Ende für seinen Freund da ist.

Das vielleicht Bemerkenswerteste an „Third Star“ ist seine unaufgeregte Erzählweise. Einer der Gründe, weshalb Dramen über todkranke Menschen meistens nicht funktionieren, ist, dass zu gewollt auf die Tränendrüse gedrückt wird. Überlebensgroße Gefühle, in schöne Bilder verpackt und mit einem bombastischen Soundtrack unterlegt. Sicher, auch hier gibt es fast episch zu nennende Landschaftsaufnahmen, doch sie wollen keinen Eindruck schinden, es sind stille, beobachtende Momente, und wenn Bill dann in einem Wutanfall den mitgenommenen kleinen Baum über die ach so majestätische Klippe schleudert, wird selbst diese Idylle gebrochen. Gerade das Ende ist in seiner Schlichtheit bedrückend, und wenn dann mit dem Abspann James Vincent McMorrows „Follow you down to the Red Oak Tree“ erklingt, dann ist das mitnichten ein wuchtiger Soundtrack, sondern ein vergleichsweise leiser Seufzer. „Third Star“ ist kein Film, der einem zwangsläufig die Tränen in die Augen treibt (obwohl das bei Leuten wie mir natürlich immer funktioniert), und das unterscheidet ihn von anderen seines Genres. Wenn überhaupt, dann geht man mit einem erschöpften Lächeln aus dem Kino.