In a Nutshell | Vom Sinn und Unsinn des Vorspanns

Manchmal merken wir erst, wie sehr wir etwas gemocht haben, wenn es plötzlich nicht mehr da ist. Doch während wir die Tradition des Vorspanns bei Serien gerade zu Grabe tragen wollen, scheint sich der Tote noch mal zu rühren. Ist der Vorspann nun überflüssiges Relikt oder schon wieder eine Kunstform?

Früher war es einfach. Eine Serie hatte einen Vorspann und einen Titelsong, beides gehörte untrennbar zur Serie dazu, und manchmal, wenn man mehrere Folgen im Marathon guckte, spulte man ganz frech vor. Der Vorspann sorgte mehr als alles andere für den Wiedererkennungseffekt einer Serie. Teilweise so stark, dass ich zum Beispiel heute noch denke, jetzt kommt “Friends”, wenn ich irgendwo “I’ll be there for you” von The Rembrandts höre. Und natürlich war und ist der Vorspann der Stimmungsmacher schlechthin, Serien wie “True Blood” oder “The Walking Dead” sind sich dessen sehr bewusst und haben eine jeweils ganz eigene Ästhetik dafür entwickelt.

Jahrelang scheint niemand in Frage gestellt zu haben, dass zu einer Serie auch ein Vorspann gehört. Tatsächlich bildeten sich sogar gewisse Standards heraus, gerade in den 1990ern gab es zum Beispiel kaum eine Serie, in deren Vorspann nicht die Protagonisten gezeigt wurden – natürlich mit jeder neuen Staffel um aktuelle Szenen ergänzt. Doch mehr und mehr versuchten Serienmacher auch, neue Wege zu finden, und begünstigt sicherlich auch durch immer komplexere Handlungsstränge (I’m looking at you, “LOST”), die man nicht für einen langen Vorspann opfern wollte, kamen mit dem neuen Jahrtausend die einfachen Titeleinblendungen in Mode. Interessant daran ist, dass die Schauspieler auf einen Schlag aus dem Fokus gerieten, und das, obwohl gerade zu dieser Zeit viele bekannte Namen von der großen Leinwand zum Serienformat wechselten.

Die Entwicklung ist allerdings keineswegs neu, sondern setzt fort, was vor Jahrzehnten im Kino begann. Es kommt uns heute befremdlich vor, dass alte Filme ihren Nachspann scheinbar im Vorspann haben, doch über viele Jahre hinweg war das völlig normal. Und als einige Regisseure in den 1970ern damit anfingen, den Vorspann immer mehr zu reduzieren, brachte ihnen das zunächst vor allem den Protest der Gewerkschaften ein, da man die Arbeit der Schauspieler und anderen Mitwirkenden nicht mehr ausreichend gewürdigt sah. Inzwischen ist der Großteil der Namensnennungen endgültig in den Nachspann gewandert, während Regisseure den Vorspann oftmals dazu benutzen, eine Art Prolog zum Film zu erzählen oder direkt in die Handlung einzusteigen. Für den Zuschauer hat das Vorteile gebracht, vor allem, wenn man bedenkt, dass viele Filme heute einen Nachspann haben, der zehn Minuten oder länger ist.

Trotzdem muss man fragen, ob der fehlende Vorspann bei Serien nicht auch ein Zeichen dafür ist, dass die Mitwirkenden am Ende doch austauschbar geworden sind. Wie bereits erwähnt, war es bei vielen Serien der 90er nicht unüblich, die Schauspieler im Vorspann zu zeigen, sie also direkt mit dem Produkt zu verknüpfen. Die teilweise sehr unspektakuläre Namenseinblendung innerhalb der laufenden Folge, die heute die Regel ist, lässt sich leicht ändern und vermittelt wohl nicht nur den Darstellern den Eindruck, dass sie jederzeit ersetzbar sind. Auf der anderen Seite könnte man positiv deuten, dass die Story heute mehr im Vordergrund steht und nicht mehr die Schauspieler das primäre Verkaufsargument sind. Außerdem wird der Erzählfluss natürlich nicht mehr so massiv unterbrochen. Es ist kein Zufall, dass gerade eine Serie wie “Buffy”, die einen recht expressiven Vorspann hatte, in wenigen Ausnahmefällen darauf verzichtete, um die im Teaser erzeugte Grundstimmung nicht zu unterlaufen.

Doch gerade weil es heute keine Standards mehr gibt, an die sich Serienproduzenten halten müssen, erlebt der Vorspann gerade so etwas wie eine Renaissance und entwickelt sich mehr und mehr zur eigenen Kunstform. Serien wie “Game of Thrones” oder “Elementary” haben sich bewusst dafür entschieden, wertvolle Sendezeit für einen ausgeklügelten Vorspann zu opfern, der die Idee und Stimmung der Serie einfängt. Bei “Game of Thrones” wird die animierte Landkarte gleichzeitig sogar dazu genutzt, die jeweils in einer Folge vorkommenden Handlungsorte zu zeigen, was den Vorspann direkt mit der Story verknüpft. “Once upon a Time” nutzt einen ähnlichen Trick, obwohl die Serie eine kurze Titeleinblendung verwendet und nur jeweils ein wichtiges Handlungselement der jeweiligen Folge hinzufügt.

Je unterschiedlicher die Vorspänne werden, desto mehr scheiden sich auch die Geister an der Frage, welchen Nutzen er hat. Die einen sind froh, wenn sie ihre Lieblingsserie ohne große Unterbrechung genießen können, für andere gehört es einfach dazu, den Titelsong mitzusingen. Am Ende ist alles Geschmackssache, und die Enttäuschung über einen besonders einfallslosen Vorspann gehört beim Fan zum Alltag. Solange Serienmacher darin eine Möglichkeit sehen, ihr Produkt von anderen abzugrenzen, wird der Vorspann – in der einen oder anderen Form – auf jeden Fall erhalten bleiben.