Literatur am Samstag | Die Sandwitch feiert Halloween

Zu der Zeit, als “Die Detektelfe” noch nichts weiter als eine Ansammlung loser Geschichten war, entstand diese kleine Story. Kurz zuvor hatte ich wegen eines Schreibfehlers für eine Freundin die Sandwitch erfunden, die fortan allerlei Abenteuer erlebte und schließlich als Henrietta auch bei Arwel landete. Mein Sinn für leicht morbiden Humor schimmert hier allerdings bereits durch.

Die kleine Sandwitch blickte verdrossen auf ihre abgenutzte Sanduhr und seufzte so laut und erbärmlich, dass sogleich eine Ladung Sand aus dem Nichts auftauchte und das Glas der Uhr zum Bersten brachte. Es musste Halloween sein, dachte sie, denn von draußen hörte sie das Gekicher kleiner Kinder.

Die Sandwitch mochte Halloween nicht. Das war ungewöhnlich, denn im Reich der Hexen und Zauberer ist dies der höchste Feiertag. Doch die Sandwitch war keine besonders gute Hexe. Das Einzige, was sie je erzaubert hatte, war Sand. Ihre Mutter, die leider unter einem großen Sandhaufen erstickt war, hatte stets gesagt, sie solle stolz darauf sein, eine der letzten Sandwitches der Welt zu sein. Ihre Familie hatte eine lange und sandige Tradition.

Nachdem sie die gesprungene Sanduhr zusammengekehrt hatte, lugte die Sandwitch vorsichtig aus dem Fenster zur Straße vor ihrem Haus. Etliche Gruppen kleiner Monster und Gespenster waren unterwegs und schleppten Körbe voller Süßigkeiten. Schockiert bemerkte sie, dass gerade drei Kinder den Weg zu ihrer Veranda einschlugen, und biss sich verärgert auf die Unterlippe, weil sie vergessen hatte, das Licht auszumachen. Gewöhnlich tat sie an Halloween so, als sei sie nicht zu Hause. Vielleicht reichte es, wenn sie sich einfach taub stellte?

Es klingelte, was die ohnehin schon angespannte Sandwitch derart erschreckte, dass sie die Klingel im Affekt in Sand verwandelte, der knirschend den Rahmen hinab rieselte. Sie fluchte leise und lauschte, ob die Kinder wieder abzogen. Doch als die merkten, dass die Klingel seltsamerweise nicht mehr funktionierte, wurden sie misstrauisch und verlegten sich auf lautstarkes Klopfen, das auch noch die letzten Sandkörner aus ihrem Versteck trieb. „Süßes, sonst gibt’s Saures!“ tönte es im Chor von der anderen Seite.

Die Sandwitch wurde ernstlich nervös. Als sie ihren Zauberstab aus der Tasche ihres Rocks zog, zitterte ihre Hand erbärmlich, aber sie riss sich zusammen und murmelte einen Spruch. Ihr Latein war furchtbar, möglicherweise war das die Wurzel allen Übels, es klang nicht mal wie ein richtiger Zauberspruch. Doch zu ihrer großen Überraschung fand sich auf einem kleinen Beistelltischchen ein ganzer Stapel hübsch verpackter Kuchen ein. Die Sandwitch war begeistert.

Fröhlich griff sie nach einem der kleinen Päckchen und riss die Schleife ab. Das Papier löste sie vorsichtiger und hielt dann einen leckeren Muffin in der Hand, der süß duftete und absolut perfekt aussah. Konnte das sein? Konnte ihr nach Jahren des Scheiterns plötzlich und unvermittelt ein Zauber gelungen sein?

Die Sandwitch schüttelte den Kopf, weil sie diesen glorreichen Triumph nicht durch Nachdenken zerstören wollte. Sie biss in der Erwartung eines köstlichen weichen Kuchens herzhaft in den Muffin. Doch als sie die Masse zerkauen wollte, stellte sie fest, dass sie den Mund voll knirschendem Sand hatte. Hustend und würgend spuckte sie ihn aus und sah auf den Rest des Kuchens in ihrer Hand. Er sah noch immer perfekt aus. Was war das denn für ein schrecklicher Zauber?

Egal, dachte die Sandwitch, als das noch immer ohrenbetäubende Klopfen der Kinder wieder einen Weg in ihr Bewusstsein fand. Sie würden es nicht merken, jedenfalls nicht sofort, und was ging es sie danach noch an? Breit grinsend riss sie die Haustür auf.

Die Kinder erstarrten und der Sandwitch wurde bewusst, dass sie denken mussten, sie habe sich ebenfalls verkleidet. Wie üblich trug sie ein mit Sternen übersätes dunkelblaues Kleid und einen spitzen Hut aus feinstem schwarzem Samt auf ihren blonden Haaren. „Ho, ho, ho“, machte sie, um den peinlichen Moment der Stille zu überbrücken, doch die Kinder sahen sie nur noch eine Spur entgeisterter an.

Sie beschloss, die hübsch verpackten Kuchen für sich sprechen zu lassen, und lief zum Beistelltischchen zurück, um so viele wie möglich in ihre Arme zu laden. Als sie wieder vor die Kinder trat, begannen deren Augen gierig zu leuchten. Wortlos grapschten sie nach den Muffins und packten sie hungrig aus.

Die Sandwitch schluckte schwer. Das hatte sie nun überhaupt nicht eingeplant! Ein wenig haltlos wanderten ihre Augen über die vor Freude geröteten Gesichter der Kinder. Selbst der als Vampir bleich geschminkte Junge, der ganz vorne stand, sah kein bisschen untot mehr aus. Sie überlegte, ob sie einfach die Tür zuschlagen sollte, aber irgendwie ahnte sie, dass das ihre Lage nicht wesentlich verbessern würde.

Als eines der Kinder, eine mit einer dicken Warze verzierte Hexe, den Mund öffnete, um sich den Kuchen hineinzupacken, brach es aus der Sandwitch heraus: Sie brüllte einen Zauberspruch, der laut Lehrbuch alles verschwinden lassen würde. Einen Moment lang schien alles um sie herum zu überlegen, was es tun sollte, und ob Verschwinden nun wirklich und wahrhaftig das Richtige war. Dann wurden die Kinder stattdessen zu Sandstatuen.

„Nein, nein, nein“, jammerte die Sandwitch verzweifelt und ließ ihren Kopf in die Hände sinken. „Nicht Sand! Weg, alles weg!“ Doch es nützte nichts, der Zauber war vollführt und nun hielten Sandkinder ihre leckeren Kuchen in den Händen. Denn – und das war das eigentlich Erstaunliche daran – der Kuchen war Kuchen geblieben.

Was nun? Sie konnte die Sandfiguren doch nicht einfach hier stehen lassen! Die Leute würden tratschen! Mit einem Seufzen trat die Sandwitch einen Schritt nach vorn und stupste den Vampir an die Nase. Er zerfiel rieselnd, was die Sandwitch an den Rand eines Nervenzusammenbruchs brachte.

Verstört und gegen eine Ohnmacht ankämpfend blickte sie auf den Sandhügel, der sich auf dem Fußabtreter türmte. Dann kam ihr ein gleichermaßen erschreckender wie befreiender Gedanke. Sie ließ ihrem schlechten Gewissen einige Sekunden Zeit, sich zu Wort zu melden … doch nichts geschah. Mit einem Achselzucken schubste die Sandwitch auch noch die beiden anderen Sandfiguren an, bis der Inhalt mindestens eines Sandkastens auf ihrer Veranda lag.

Dann flitzte sie in die Küche und holte ihren Besen. Natürlich nicht den zum Fliegen, der stand in der Garage, wie es sich gehörte, sondern dieses unsagbar hässliche und abgenutzte Ding, mit dem sie regelmäßig ihre schief gelaufenen Zauber weg kehrte. Energisch fegte sie sodann die Sandmassen in den Garten hinab, wo sie nicht weiter auffallen würden. In der Nachbarschaft hatte sich ohnehin längst die Meinung verbreitet, sie experimentiere mit einer neuen Art Steingarten – mit Sand statt Steinen. Tatsächlich gelangt es der Sandwitch sogar, harmlos zu winken, als ein Liebespärchen an ihrem Haus vorbeiflanierte.

Und so war es im Wesentlichen ein Halloween wie jedes Jahr. Ein paar Kinder verschwanden spurlos, während die Sandwitch im Dunkeln saß und sich wünschte, eine ganz normale Hexe zu sein.