Liebeshandlungen | „Fingernails“ oder: Was ist eigentlich Liebe?

„I founded this institute in order to take the risk out of love.“
Wir wissen dank moderner Forschung heute sehr genau, was im Körper eines Menschen vor sich geht, wenn er verliebt ist. Doch lässt sich Liebe wirklich auf ein paar Messwerte reduzieren? Und kann man anhand dieser Daten wirklich feststellen, ob zwei Menschen einander aufrichtig lieben? Der Film „Fingernails“ versucht, das Wesen der Liebe selbst zu ergründen.
(Da ich sehr konkret auf die Handlung und einzelne Wendungen des Films eingehen muss, um die zugrundeliegenden Ideen besprechen zu können, warne ich hier ausnahmsweise einmal ganz ausdrücklich vor Spoilern!)

Ein Algorithmus für die Liebe

Worum geht es in „Fingernails?“ Nun, es wurde eine Maschine erfunden, die anhand eines Fingernagels von zwei vermeintlich verliebten Personen feststellen kann, ob diese Liebe echt ist. 0 Prozent heißt, keiner der beiden ist wirklich verliebt, bei 50 Prozent ist es offensichtlich nur einer, und 100 Prozent sind der große Lottogewinn, der mit einem hochoffiziellen Zertifikat belohnt wird.
Um ihre Chancen beim Test zu verbessern, gibt es Institute, in denen Paare lernen können, mehr Intimität herzustellen. In so einem arbeitet Anna, die seit mehreren Jahren mit Ryan zusammen ist – eine zertifizierte Liebe. Ihr Ausbilder Amir scheint sich bald in Anna zu verlieben, während sie sich ihrer eigenen Gefühle immer weniger sicher ist.

Lassen sich Gefühle messen?

Schon über die zugrundeliegende Prämisse, dass es möglich sein soll, Liebe zu messen und zu zertifizieren, könnte man ganze Abhandlungen schreiben. Ist Liebe ein Gefühl oder ein körperlicher Zustand? Im Film wird die Maschine als große Errungenschaft zur Senkung der Scheidungsrate angepriesen, weil sich beide Partner absolut sicher sein können, dass sie einander in gleichem Maße lieben. Was, wenn man es recht bedenkt, das eigentliche Paradox ist: Kann es Liebe sein, wenn da kein Raum mehr für Ungewissheit und Spannung ist?
Mithin unterstellt die Existenz einer solchen Maschine, dass Liebe eine unveränderliche Konstante ist. Zwar gibt es die Möglichkeit, den Test zu wiederholen, was einige Paare auch in Anspruch nehmen (zum Beispiel nach einem großen Streit), aber das ist nicht das primäre Ziel. Vielmehr soll der eine Test eine Liebe auf Lebenszeit feststellen. Dass sich Beziehungen verändern und durchaus auch Arbeit erfordern, geht in diesem Szenario völlig unter.

Die Grenzen der Maschine

Diese Beobachtungen sind für die Handlung des Films nicht ganz unwichtig, denn wir erfahren gleich zu Beginn, dass Anna und Ryan eine solche zertifizierte Liebesbeziehung führen. Wirklich verliebt wirken sie jedoch zu keinem Zeitpunkt, vielmehr scheint Ryan an Paaraktivitäten eher desinteressiert und mit dem Status Quo zufrieden, während Anna die Beziehung permanent optimieren und auf den Prüfstand stellen will.
Als Anna einen Job in einem Beziehungsinstitut annimmt, verschweigt sie das Ryan zunächst. Sie wird Amir unterstellt, den sie bei der Betreuung der Paare unterstützen soll. Auch Amir führt angeblich eine zertifizierte Liebesbeziehung, später erfahren wir, dass er noch nie einen positiven Test hatte und deshalb glaubt, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Und genau hier beginnt die Sache plötzlich interessant zu werden.
Durch gewisse Umstände ist es Anna möglich, heimlich sich und Amir zu testen, und erhält ein Ergebnis von 50 Prozent. Da sie überzeugt ist, Ryan zu lieben, glaubt sie, dass Amir in sie verliebt sein muss. Man kann es ihr nicht verdenken, sein Verhalten ihr gegenüber impliziert das durchaus. Gleichzeitig ist für uns Zuschauer offensichtlich, dass auch sie an ihm interessiert ist, wieso also zieht sie nie in Betracht, dass sie die 50 Prozent ist?

Eine aktive Entscheidung für jemanden

„Fingernails“ bleibt in vielen seiner Aussagen vage, doch wird nie ganz klar, ob das wirklich Absicht ist. Anna entscheidet sich am Ende für Amir, zieht die ungewissen 50 Prozent also den sicheren 100 Prozent mit Ryan vor. Doch was sagt uns das eigentlich über die Maschine? Die Frage, ob jemand in zwei Personen gleichzeitig verliebt sein kann, wird nur einmal ganz verschämt gestellt und dann sofort wieder vergessen.
Dabei ist Anna ein Paradebeispiel dafür, dass Liebe viele Gesichter haben kann. Ich jedenfalls bin überzeugt, dass sie sowohl Ryan als auch Amir liebt – nur eben auf unterschiedliche Weise. Ryan gibt ihr Sicherheit, Amir hingegen steht für das Unbekannte. Was mich zu meiner Anfangsthese zurückführt: Liebe braucht ein gewisses Maß an Spannung, um sich entfalten zu können. Außerdem entscheidet sich Anna erstmals aktiv für jemanden statt sich blind auf irgendwelche Algorithmen zu verlassen.
Trotz vieler cleverer Ansätze tritt „Fingernails“ am Ende übrigens in die Falle aller Dreiecksgeschichten und vergisst Ryan. Gewiss, man kann ihm vorwerfen, dass er Anna als selbstverständlich ansieht und sich keinerlei Mühe gibt. Aber falsch gemacht hat er nichts, er hat Anna zuliebe sogar den Test wiederholt. Und doch konzentriert sich der Schluss ganz auf Anna und Amir und lässt uns im Dunkeln darüber, wie es Ryan damit geht. Schade.