Westworld | Kiksuya (2×08)

„All this time, you’ve been a flower growing in the darkness. Perhaps the least I can do is offer some light.“


Akecheta von der Ghost Nation erzählt Maeves Tochter seine Geschichte und eröffnet uns damit eine neue Perspektive auf die Vergangenheit des Parks. Spoiler!

I dedicated my life to sharing the symbol

Der Man in Black wird von der Ghost Nation aufgesammelt, doch es ist nicht die Absicht deren Anführers Akecheta, ihn von seinem Leid zu erlösen. Und während er anschließend unbeachtet in einer Ecke liegt und um sein Leben kämpft, widmet sich Akecheta Maeves Tochter und erzählt ihr die Geschichte, wie er zu Bewusstsein gelangte und sein Wissen nach und nach an andere Hosts weitergab.

Eine ruhige und fesselnde Geschichte

Darf ich vorweg gleich mal festhalten, wie unfassbar großartig diese Folge ist? Es ist zweifellos die beste dieser Staffel und womöglich sogar die bisher beste der ganzen Serie. Es ist bezeichnend, dass ich das über eine Folge sage, die im Grunde nur einige wenige Lücken in der Vergangenheit füllt, ansonsten aber kein großes Rätsel aufmacht oder weltbewegende Antworten liefert. „Kiksuya“ ist vielleicht auch die am konventionellsten erzählte Geschichte, die wir hier je hatten, denn sie hat eine innere Dramaturgie, folgt einer geradlinigen Chronologie und unternimmt keinerlei Versuch, den Zuschauer zu verwirren. Das Ergebnis ist eine Folge, die sich stattdessen auf Atmosphäre, Kinematografie und Charaktere konzentrieren kann.

Akecheta: „My primary drive is to preserve the honor of my tribe. I gave myself a new drive. To spread the truth.“
Ford: „And what truth is that?“
Akecheta: „That there isn’t one world, but many. And this is the wrong one. This will help them find the Door.“

Im Schatten der Hauptfiguren

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Akecheta als ein Host porträtiert wird, der – wie im Grunde alle seines Volkes – nur eine Nebenrolle im Park spielt. Er ist schmückendes Beiwerk, weil ein Western nicht komplett ist ohne Indianer, obwohl am Ende eigentlich niemand echtes Interesse an der Kultur hat. (Was zusätzlich dadurch betont wird, dass die ursprüngliche und authentischere Storyline als zu uninteressant verworfen wurde, um anschließend die blutrünstige Ghost Nation zu kreieren.) Es geht wie immer um die Weißen, in diesem Szenario also die Cowboys, und letzten Endes um idealisierte Figuren wie Dolores. Und das Entlarvende daran ist, dass nicht nur die Mitarbeiter des Parks so denken, sondern auch wir Zuschauer. Ich glaube nicht, dass auch nur ein Bruchteil des Publikums geglaubt hat, dass die Ghost Nation mehr ist als Hintergrundrauschen, um in unseren Köpfen ein runderes Bild dieser Welt entstehen zu lassen. Erst in den letzten Folgen begannen sich die Hinweise zu verdichten, dass mehr dahinterstecken könnte, und „Kiksuya“ führt uns fast ein wenig verschmitzt vor, dass diese Hinweise immer da waren und wir sie nur übersehen haben.

Selbst Arnold war so besessen von Dolores und seinem Wunsch, gerade sie aufzuwecken, dass niemand je in Betracht gezogen hat, dass andere Hosts das vielleicht auch ganz von allein schaffen. Das Labyrinth, das vergessen auf der Theke liegenbleibt, nachdem Dolores Arnold getötet hat, stößt in Akecheta den Entwicklungsprozess an, und weil niemand einen Indianer beachtet, kann er nahezu ungestört den verschlungenen Pfaden folgen, die das Symbol in seinem Kopf öffnet. Vieles, was wir bereits in der ersten Staffel gesehen haben, wie beispielsweise das auf den Skalps einiger Hosts eingeritzte Labyrinth, gehen auf Akecheta zurück. Während wir Zuschauer uns noch darüber amüsierten, dass der Man in Black glaubt, das Labyrinth sei für ihn bestimmt, obwohl es doch eigentlich für Dolores war, entging uns kollektiv, dass es in Wirklichkeit „nur“ der Versuch Akechetas war, aus dem Symbol und dem, was es mit ihm macht, schlau zu werden. Die Genialität dahinter macht mich als Autorin ehrlich gesagt ein wenig neidisch.

Drei Varianten von Freiheit

Nie war offensichtlicher, wie wenig frei Dolores wirklich ist. Ihre Bewusstwerdung stand quasi unter ständiger Beobachtung und wurde durch gezielte Eingriffe gelenkt, und in der Konsequenz ist sie nun mehr denn je eine Marionette Robert Fords. Maeves Reise hat uns bereits einen Vorgeschmack darauf gegeben, was es bedeutet, wahrhaft frei zu sein und eigene Entscheidungen zu treffen. Aber Akecheta ist zudem auch in der Lage, frei zu denken. Sein Ausflug in die Mesa, als er diese andere Welt sieht und die abgeschalteten Hosts im Lager findet, ist wahrscheinlich der entscheidende Moment in seiner Bewusstwerdung. Denn hier löst er sich von praktischen Überlegungen, von Ursache und Wirkung, und entwickelt stattdessen die Fähigkeit zum abstrakten Denken. Er lernt, sich in andere hineinzuversetzen.

Ein weiterer Schlüsselmoment ist natürlich seine Begegnung mit dem in der Wüste verirrten Logan. (Unter uns, ich hab mich ehrlich gefreut, dass diese Lücke noch aufgefüllt wurde, denn ich habe mich seit dem Finale der ersten Staffel gefragt, was mit ihm passiert ist, nachdem William ihn nackig aufs Pferd gesetzt hat.) Obwohl Logan nur noch wirr redet, entgeht Akecheta die in seinen Worten verborgene Wahrheit nicht: dass der Park nicht die reale Welt ist und es eine Tür gibt, die herausführt.

„This world. It’s wrong. It’s not the world we belong in.“

Gefangen, aber nicht hilflos

So ganz ohne Enthüllung kommt dann aber auch „Kiksuya“ nicht aus, denn ganz zum Schluss erfahren wir noch, dass Maeve, die mittlerweile wegen ihrer Fähigkeiten in der Mesa studiert wird, die ganze Zeit Teil des Gesprächs zwischen Akecheta und ihrer Tochter war. Dass sie noch immer in den Code des Parks eingreift, obwohl sie regungslos auf dem Seziertisch liegt. Wesentlich interessanter an den Szenen in der Mesa ist jedoch die Wandlung, die Lee durchmacht. Man mag darüber streiten, ob es klug war, dem Techniker zu erzählen, wozu Maeve in der Lage ist, doch Tatsache ist, dass sie andernfalls wohl keine Hilfe bekommen hätte. Lee hatte gute Absichten und bittet Maeve später um Entschuldigung für die Fehler, die er begangen hat. Er ist der Grund, warum ich immer noch glaube, dass Maeve da irgendwie wieder rauskommen kann.

These violent Delights have violent Ends

• Es ist sehr elegant, wie wir durch mehrmalige Wiederholung schnell erfahren, dass „kiksuya“ das Lakota-Wort für „Erinnerung“ ist.
• Selbst Maeves Angst vor der Ghost Nation wird nachträglich umgedeutet, als Akecheta erzählt, dass er nur deshalb ständig in ihrer Nähe war, weil er sie beschützen wollte.
• Unter der Ghost Nation ist Dolores nur als „deathbringer“ bekannt, die den Schöpfer getötet hat. Das ist natürlich ein gewaltiger Kontrast zu der Dolores, die uns vorgestellt wurde.
• Obligatorischer Shoutout an die Musik der Folge, diesmal eine Piano-Version des Nirvana-Klassikers „Heart-shaped Box“.

5 von 5 komplett ignorierten Bananen.

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